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Der Begriff “Work-Life-Balance” stand ursprünglich für Familienfreundlichkeit, Gleitzeit und ein überschaubares Überstundenkonto – die Verantwortung lag hier also beim Arbeitgeber. Heute, wo diese Bedingungen in vielen Unternehmen erfüllt zu sein scheinen, bedeutet Work-Life-Balance eher die Möglichkeit, von der Arbeit nicht nur räumlich Abstand nehmen zu können. Die Verantwortung der Arbeitnehmer?
Im Rahmen der Social Media Week in Hamburg unterstrich Heiko Schulz von der Techniker Krankenkasse, die gesundheitlichen Folgen unkontrollierter Social-Media-Informationsflut. Die zynischen Reaktionen in meinen Timelines auf Twitter und Facebook ließen nicht lange warten. “Da warnen mal wieder die armen Offliner vor den Gefahren der Technik, die sie nicht beherrschen” – so der bekannte Tenor.
Auch wenn ich weit davon entfernt bin, die Überlastung des Gehirns a la Schirrmacher zu proklamieren, so fürchte ich doch, dass der gesundheitliche Aspekt unterschätzt wird – gerade bei jenen, die glauben, mit sozialen Netzwerken “nativ” umgehen können. Das erfordert Disziplin und das Bewusstsein der Eigenverantwortung. Der Weg den Volkswagen geht, seine Mails nach dem Ende der Gleitzeit nicht mehr auf die Blackberrys der Angestellten auszuliefen ist dabei der wohl falscheste, den man gehen kann. Die Botschaft: “Keine Mail – keine Arbeit. Aber wenn die Mail kommt, dann musst Du spuren!”. Bravo! Da war Sascha Lobos Hinweis auf den Ausknopf des Telefons zunächst naheliegend:
“Am Blackberry gibt es einen Ausknopf. Wer ihn nicht bedienen kann, dem hilft auch kein Betriebsrat. Und wer sich nicht traut, ihn zu bedienen, hat einen großen Haufen Probleme, die durch die Abschaltung eines Servers nicht gelindert oder gar gelöst, sondern nur versteckt werden.”
Stimmt, aber diese Probleme sind weit verbreitet: Gerade die, die dazu neigen, zu sagen “Dann schalt’ Dein Handy doch aus”, gerade die tun es eben nicht. Wehe dem Netzbetreiber, wenn irgendwo auf der Bahnstrecke zwischen Hamburg und Frankfurt nur Edge verfügbar ist. Online sein bedeutet, die Kontrolle zu haben. Ich bekomme alle Infos in Echtzeit und kann jederzeit auf alles reagieren. Dieses Gefühl der vollen Kontrolle abzulegen, erfordert einiges an Vertrauen. Und zwar nicht nur Vertrauen, dass die Welt nicht untergeht sobald man mal kurz weg sieht – sondern auch das Vertrauen an sich selbst, die Dinge auch dann noch im Griff zu haben, wenn sie sich unbeobachtet weiterentwickelt haben. Und dieses Selbstvertrauen beobachte ich noch immer selten. Auch bei mir.
Wenn sich Unternehmen also heute fragen, wie sie Work-Life-Balance “gestalten” können und wie sie nur die ganzen Sabbaticals bezahlen sollen: Schafft erst mal Systeme, in denen nichts so schnell den Bach runter gehen kann, dass Mitarbeiter immer erreichbar sein müssten. Solange Mitarbeiter den Kontrollverlust fürchten, kann man sich nämlich sämtliche weiteren Programme sparen. In diesem Sinne: Schönes Wochenende!