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Hurra, hurra – endlich sind mehr Auszubildende da. Oder doch nicht? Die Zahlen des Berufsbildungsberichts 2019 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sind nicht ganz leicht zu deuten und können beim Querlesen hier und da verwirren. Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist gestiegen, gleichzeitig auch die Zahl der betrieblichen Ausbildungsangebote. Zugenommen hat aber auch die Zahl der unbesetzten Stellen. Was bedeutet das nun und was können Betriebe aus diesen Zahlen schließen?
Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge steigt
Im Zeitraum vom 1. Oktober bis zum 30. September 2019 wurden bundesweit insgesamt 531.413 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen. Das ist mehr als in den Vorjahren! Während die Zahl der neuen Ausbildungsverträge zwischen 2011 und 2016 stetig sank, gibt es seit 2017 erstmalig wieder einen neuen Anstieg zu vermelden. Von 2017 auf 2018 stieg die Zahl sogar noch einmal um 8.123 Ausbildungsverträge an, was einen zusätzlichen Zuwachs von +1,6 % bedeutet. Das klingt doch erstmal gar nicht so schlecht. Doch welche Zahlen stehen diesem Anstieg gegenüber?
2018 wurden insgesamt 589.069 Ausbildungsangebote bei der Agentur für Arbeit registriert. Das Angebot stieg damit im Vergleich zum Jahr 2017 um +16.795 Stellen (+2,9%).
Die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen errechnet sich durch die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge und den bei der Agentur für Arbeit und Jobcentern gemeldeten noch unversorgten BewerberInnen. Nach dieser Berechnung beläuft sich die Nachfrage auf 555.953 Ausbildungssuchende.
Ausbildungsbetriebe und Ausbildungssuchende in Relation
Was heißt das also genau? 589.069 Ausbildungsangebote standen insgesamt 555.953 Ausbildungssuchende gegenüber. Von diesen Suchenden haben 531.413 einen Vertrag unterschrieben. Demnach haben für das Jahr 2018 lediglich 4,4% keinen Ausbildungsplatz finden können – ganze 95,6% konnten wie erhofft einen Vertrag unterschreiben. Diese Zahl ist zumindest aus Sicht der Auszubildenden keine schlechte Nachricht. Anders sieht es allerdings für die Betriebe aus, denn gleichzeitig blieben 9,8% der Ausbildungsangebote unbesetzt. Um dieses Verhältnis etwas zu verdeutlichen: Auf 100 Ausbildungssuchende kommen 106 Ausbildungsangebote.
Einen vergleichbaren Wert gab es zuletzt im Jahr 1994. Zwar steigt die Zahl der Ausbildungswilligen, gleichzeitig steigt aber auch kontinuierlich das betriebliche Angebot. Dieses Verhältnis macht deutlich: Die Anzahl an Azubis wird die Anzahl an offenen Stellen so schnell nicht überbieten können. Vor allem für Ausbildungsbetriebe in bestimmten Branchen und Bundesländern auf der Suche nach Mangelprofilen sind diese Zahlen relativ ernüchternd.
Der Azubi fehlt nicht überall
Was diese nackten Zahlen nicht zeigen, ist ein ganz anderes und ziemlich offensichtliches Problem: Nicht jede angebotene Stelle passt zu jedem Ausbildungssuchenden.
Ist ein Schulabgänger auf der Suche nach einer Stelle als Tischler in Hamburg, wird er keine Stelle im Lebensmittelhandwerk im Ruhrgebiet antreten wollen. Die mangelnde Überschneidung von Angebot und Nachfrage ist je nach Region und Branche bzw. Beruf sehr unterschiedlich stark ausgeprägt.
In der folgenden Grafik wird die Verteilung der abgeschlossenen Ausbildungsverträge auf verschiedene Branchen und Bundesgebiete etwas deutlicher:
Wenn man bedenkt, dass Nordrhein-Westfalen mit fast 18 Mio. Einwohnern das größte Bundesland der Republik ist, ist die relative Anzahl der unterschriebenen Ausbildungsverträge (118.281) im Vergleich zu Bayern (rund 13 Mio. Einwohner mit 95.433 Ausbildungsverträgen) und Baden-Württemberg (rund 11 Mio. Einwohner mit 75.312 Ausbildungsverträgen) nicht allzu groß. Heißt: Die Suche nach Auszubildenden erweist sich in Bayern beispielsweise einfacher als in NRW – ganz zu schweigen von Sachsen und Sachsen-Anhalt.
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Schulische Vorbildung der unversorgten BewerberInnen
Wer die bisherigen Zahlen sieht, mag vielleicht (zurecht) anmerken, dass nicht alle Bewerber für alle Azubi-Stellen ausreichend qualifiziert sind. Doch betrachtet man die Zahlen genauer, handelt es sich zumindest auf dem Papier keineswegs nur um Bewerberinnen und Bewerber mit vergleichsweise niedrigeren Schulabschlüssen.
Wie das Bundesministerium für Bildung und Forschung anhand von Statistiken der Bundesagentur für Arbeit errechnete, hatten 29,8% der unversorgten BewerberInnen eine Studienberechtigung. Grund dafür, dass so viele gut ausgebildete Schulabgänger keinen Ausbildungsplatz finden, ist möglicherweise eine doch eher einseitige Fokussierung von Studienberechtigten auf eine kleinere Auswahl an Berufen und die daraus resultierende stärkere Konkurrenzsituation. Nur 2,6% der unversorgten BewerberInnen hatten keinen Hauptschulabschluss. Auch die Anzahl der Absolventen mit Mittlerer Reife ist bei dieser Bewerbergruppe prozentual höher als die mit einem Hauptschulabschluss. Dass also nur BeweberInnen mit einem vergleichsweise niedrigerem Schulabschluss auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz leer ausgehen, kann mit diesen Zahlen nicht bestätigt werden. Mehr Informationen zur schulischen Vorbildung findest Du hier.
Fazit
Dass die Zahl der unterschriebenen Ausbildungsverträge im Vergleich zum Vorjahr erneut gestiegen ist, ist grundsätzlich eine positive Nachricht. Doch obgleich die Zahl der Schulabgänger mit Wunsch nach einem Ausbildungsplatz weiterhin steigt, bleibt die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage immer noch eine große Herausforderung. Denn nicht nur die Nachfrage steigt, sondern gleichzeitig auch das betriebliche Angebot. Das führt dazu, dass 57.700 Stellen trotz hoher Nachfrage unbesetzt bleiben. Hinzu kommen die unversorgten BewerberInnen, die keinen Ausbildungsplatz finden konnten.
Nach Erhebung dieser Daten, möchte sich die Bundesregierung zur Aufgabe machen, jungen Menschen auch weniger bekannte Berufsalternativen aufzuzeigen, die neben ihrem eigentlichen Berufswunsch ihren Neigungen, Eignungen und Leistungsfähigkeit entsprechen. Ein weiteres Ziel der Bundesregierung ist es, die berufliche Bildung durch Initiativen und Projekte mit Hilfe der einzelnen Länder zu modernisieren und sie dadurch auch für Leistungsstärkere attraktiver zu machen.
Fakt ist, dass die Unternehmen auch in Zukunft um gute Auszubildende buhlen müssen. Hierfür benötigt es innovatives Personalmarketing und überzeugendes Employer Branding, das die Aufmerksamkeit von Jugendlichen auf das Unternehmen zieht. Azubi-Recruiting ist sicher nicht ganz leicht, der Aufwand wird sich allerdings lohnen.
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