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Was für spannende Wochen: Amazon, bayrische Polizisten, Pferdefleisch – ein Aufreger jagt den nächsten. Und natürlich macht sich der moderne Wutbürger auch online Luft. Die Folge: Vernichtende Shitstorms. Ist das wirklich so?
Blicken wir mal zurück: Damals, 2009… Sich als “Social Media Berater” zu bezeichnen, zog noch keine belustigte Häme nach sich und Shitstorms konnten verwendet werden, um Unternehmen die Notwendigkeit zu verdeutlichen, einen solchen Berater zu konsultieren. Diese Argumentation lief etwa so:
“Unternehmen X war nicht in Social Media aktiv. Unternehmen X dachte also, es wäre sicher vor Anfeindungen und Schmähungen, bis es einen kleinen, aber folgenschweren Fehler machte, der sich via Twitter und Facebook wie ein Lauffeuer um die ganze Welt verbreitete. Die Folgen: Sinkende Aktienkurse, herber Imageverlust, Frustration bei den eigenen Mitarbeitern. Unternehmen X ist am Ende, geben Sie ihm noch 6 Monate!”
Und heute?
United Airlines fliegt nach wie vor, trotz des unachtsamen Umgangs mit einer Gitarre, ich habe diesen Winter so viele Jack Wolfskin-Jacken gesehen wie nie zuvor und Vodafone zieht als Telko-Anbieter genau so viel Hass auf sich wie eh und je – ob mit oder ohne Shitstorm. Irgendwann kam dann auch die Gegenreaktion: “Shitstorms sind völlig egal”, schrieb Nico Lumma letztes Jahr und meint:
Das, was derzeit als Shitstorm bezeichnet wird, ist letztendlich nur eine geballte Anzahl von Unmutsäußerungen irgendwo online.
Sehr richtig. Natürlich sind Shitstorms unangenehm, eben weil sie ein (vermeintliches) Problem des Unternehmens an die Öffentlichkeit zerren und u.U gar Medieninteresse wecken. Aber genau das war es in der Regel auch schon. Im schlimmsten Fall gehen die Umsätze kurzfristig zurück – dauerhaften Schaden haben Unternehmen aber nie genommen. (Für Gegenbeispiele bin ich offen. Bitte in die Kommentare posten.) Ich für meinen Teil wette, dass mindestens 99% derer, die vor 4 Wochen bei Amazon bestellten oder Tiefkühllasagne kauften, es auch auch in 6 Monaten wieder tun werden.
Völlig zu ignorieren sind Shitstorms als Phänomen natürlich nicht, zumal sie innerhalb der betroffenen Organisationen für erhebliche Unruhe sorgen können. Gerade hier schlägt das Halbwissen über den vermeintlichen Schaden am heftigsten ein. Und plötzlich wird der arme Praktikant, der die Facebook-Page betreuen durfte zum gescheiterten Krisenmanager, weil er in Panik geriet und ein paar Kommentare löschte.
Grundsätzlich gilt: Weder begünstigt noch verhindert ein eigener Social Media-Auftritt einen Shitstorm. Und gerade im HR-Bereich muss man ehrlich sagen: Von einer Relevanz, die einen erzürnten Mob mit sich bringen könnte, können die meisten Arbeitgebermarken nur träumen. Da muss noch viel Grundlagenarbeit geleistet werden, bevor wir uns ernsthaft mit sogenannten “Krisen” auseinandersetzen müssen.
Die Shitstorms als Kalkül
Noch mehr Schrecken verliert der Online-Mob in meinen Augen, seitdem er bewusst in Marketing-Kampagnen und Entertainment-Angeboten eingesetzt wird. Christians Ulmens Show “Who wants to fuck my girlfriend” fiel mitten in die #aufschrei-Debatte um Alltagssexismus und nutze diese gekonnt als Trampolin. In Hamburg werden wir seit zwei Tagen Zeuge einer Kampagne für ein “sauberes, schöneres und vor allem obdachlosenfreies Hamburg”, die verdächtig an die Kampagne zur Rettung der Troy Library in Michigan erinnert: Kalkulierte Provokation mit einer “Book Burning Party”: