In diesem Artikel:
Zugegeben, als Personalberater stumpft man gegenüber Bewerbungsanschreiben ein wenig ab. Vor einigen Minuten aber habe ich ein Anschreiben gelesen, das geradezu nach einem eigenen Blogbeitrag schrie. Nicht, weil jemand einen Fehler gemacht, oder sich die Freiheit herausgenommen hätte, “aus der Reihe zu tanzen”, sondern weil es gemessen an “der Norm” einen Konformitätsgrad von nahezu 100% erreichte.
Der Verfasser, eine über ihren eigentlichen Fachbereich hinaus qualifizierte operative Führungskraft aus Deutschlands Exportbranche Nr. 1, hatte alles erschreckend richtig gemacht.
Doch durch sein Perfektionsbestreben brachte er sich um die Chance, sich nicht nur als Spezialist sondern auch als Persönlichkeit zu positionieren; als eigenständiger Charakter dem man eine Führungsposition anvertraut, die ihn zuweilen in Situationen bringt, die jenseits der ausgetretenen Pfade von Richtlinien und Normen liegen, und Phantasie erfordern.
Stattdessen fand sich nach einer klaren Beschreibung des derzeitigen Verantwortungs- und Aufgabenbereichs folgende Aneinanderreihung von persönlichen Stärken innerhalb von nur einem Absatz:
* langjährige Berufserfahrung
* Verhandlungsgeschick
* Überzeugungskraft
* Durchsetzungsvermögen
* offener Kommunikationsstil
* Teamfähigkeit
* Selbstständigkeit
* Zuverlässigkeit
* stets hoch motiviert
* stressresistent
* effektiv
* lösungsorientiert
* gute Auffassungsgabe
* verantwortungsbereit
* führungserfahren
Die Persönlichkeit des Kandidaten verschwindet komplett hinter einer Aneinanderreihung von Eigenschaften, die im Frühstadium einer Zusammenarbeit aus Sicht des Arbeitgebers oder Personalberaters bloße Behauptungen sind, da sie sich kaum verlässlich überprüfen lassen.
Interessanterweise decken sich die genutzten Wörter zu 80 % mit denen, die wir vor einigen Monaten im Rahmen einer internen Studie zur Nutzung von Eigenschaftswörtern in deutschen Stellenanzeigen durchgeführt haben, und die auf 500 Stellenanzeigen basiert.
Unternehmer stellen aber keine Eigenschaftswörter ein, sondern Persönlichkeiten. Menschen mit Ecken und Kanten, die die Charakterstärke besitzen, Ihrem Unternehmen nach innen, (gegenüber den Arbeitnehmern) oder nach außen (gegenüber den Kunden) ein Gesicht zu geben, und zwar ein lebendiges Gesicht.
Es ist ein folgenschwerer Irrtum zu glauben, man könne durch die Anpassung an die im Unterbewußtsein der Arbeitsgesellschaft existierende DIN-Norm der perfekten Führungskraft die persönlichen Karrierechancen steigern. Vielmehr bringt man sich durch die so entstehende Farblosigkeit der eigenen Person um die wirklich interessanten Chancen, die sich bieten würden, gäbe man sich offen zu erkennen.
Fazit: Beweisen Sie Mut! Zeigen Sie wer Sie wirklich sind, und wagen Sie (mehr) Individualität. Und falls Sie mir bzgl. des Erfolgs eines solchen Vorgehens nicht glauben sollten, denken Sie über folgende Lebensweisheit des Schauspielers, Humanisten und UNICEF-Botschafters Peter Ustinov nach:
“Perfektion hat keinen Charakter”