[HTTP410] Eignet sich Social Media auch für Firmen, die mit einer negativen Online-Reputation starten?

In der Zeit der Besinnung stellen wir uns ein paar essentielle Fragen. Einer fragt, die beiden Anderen antworten. Jan macht den Start.

Jan fragt kurz und knapp: Eignet sich Social Media auch für Firmen, die mit einer negativen Online-Reputation starten? Wenn ja, wie könnte eine Strategie aussehen?

Alex sagt: Klar eignet sich Social Media auch für die Firmen, deren Weste an einigen Stellen schwarze Flecken aufweist, oder vielleicht sogar ganz schwarz ist. Wichtig ist die Wahrnehmung des Problems, die Einsicht und der Wille zur Besserung. Behandelt ein Unternehmen seine Mitarbeiter schlecht, hat es wenig Sinn, öffentlich zu versuchen, die Welt vom Gegenteil zu überzeugen. Möchte man sich dagegen bessern und die Öffentlichkeit quasi als Beobachter, unter Umständen Dialogpartner, miteinbeziehen, könnte das schon eher funktionieren.”Leute, wir haben’s kapiert. Es wird jetzt alles besser. Natürlich Schritt für Schritt. Schaut zu, wie aus uns eine hübsche Blume wird” 🙂

Auf jeden Fall sollte der Auftritt eines eines solchen Unternehmens gut überlegt sein, inklusive der Bereitschaft auf anfänglich evtl. überzogene Kritik einzugehen, ohne zusätzlichen Schaden anzurichten. Lügen und Täuschen in jeglichen Form scheint für vorbelastete wie für unvorbelastete Unternehmen keine gute Strategie im Social Web zu sein.

Tobi sagt: Natürlich. Deutlicher gesagt: Gerade Unternehmen mit einer schlechten Online-Reputation sollten sich bemühen, ins Social Web zu gehen. Wenn ich bereits negativ diskutiert werde, besteht ja ein erheblicher Handlungszwang. Zumindest, sofern mir die öffentliche Meinung nicht egal ist – und die unterscheidet sich heute nicht mehr groß zwischen on- und offline. Eine konkrete Strategie lässt sich klar umreißen: Stimmen sammeln (Monitoring), auswerten (Analyse) und dann in die individuelle Kommunikation gehen.

Erfolg und Wirkungsweise dieser Strategie hängt natürlich stark davon ab, worauf sich der schlechte Ruf gründet und ob er nicht auch seine Berechtigung hat. Das Unternehmen muss in seiner Kommunikation dann aufklären, deeskalieren oder gar den Weg der Entschuldigung gehen. Und dazu bedarf es grundlegender Bereitschaft innerhalb der Betriebsleitung. Nun ist es ja so, dass die meisten Unternehmen mit schlechter Online-Reputation diese nicht völlig grundlos gesammelt haben. Und die Ursache darin liegt wiederum oft in einer gewissen Ignoranz gegenüber den Wünschen der Kunden, den Partnern oder der Öffentlichkeit. In diesem Prozess entsteht Reibung, die aber oft einen sehr viel reineren Kern zum Vorschein bringt, als es für möglich gehalten wurde.

Pic: HHA 124L (CC BY 2.0)

Ruflotse – Dem Tool eilt sein schlechter Ruf voraus

In meiner Timeline huschte gerade ein fast vergessender Name vorbei: Ruflotse. Mit einer Art Reputations-Monitoring will dieser Dienst Geld verdienen und versucht ahnungslosen Nutzern mit einem Video zunächst mal etwas Angst zu machen:

[MA GDPR YouTube] Invalid video id.

Ob die Sorge um die eigene Online-Reputation in dieser Form gerechtfertigt ist, oder nicht, sei jetzt mal dahingestellt. Und ob dafür jemand Geld bezahlen möchte, muss ebenfalls jeder für sich selbst entscheiden. Ich bin überzeugt, dass ein einfacher Google-Alert schneller eingerichtet, flexibler und zudem kostenlos ist. Auf eines möchte ich aber hinweisen: Der “Löschauftrag” ist nichts weiter, als die Bitte an einen Betreiber, ungewollte Inhalte aus dem Netz zu nehmen – Ruflotse hat dabei weder rechtlich noch technisch mehr Möglichkeiten als jeder normale Nutzer selbst. Was ich aber sehr viel amüsanter finde ist, dass der Ruflotse eigenen Ruf nicht sonderlich gut im Griff hat. Abgesehen von ein paar Nutzern die Dinge schreiben wie: “Rockn Roll!!! Super Produkt! Gefällt mir!” (und ihr Profil dabei auf die Mutterfirma myON-ID verlinken *hust*) finde ich auf den neutralen Seiten ausführliche Erzählungen von Abofallen, Mahnverfahren etc. Eine Google-Suche nach Ruflotse ergibt: Platz 1 und 2: ruflotse.de – geschenkt. Platz 3: Auf blogaboutjob wurde das Tool im November 2009 getestet. In den Kommentaren sammeln sich noch heute (Jan 2011) ausschließlich unzufriedene Kunden – abgesehen vom Ruflotse-GF und einer Antwort des Serviceteams. Platz 4: Die Community Webutation bewertet die Sicherheit und den Service von Online-Angeboten. Bis auf wenige (imho unglaubwürdige) positive Einzeiler und einem Standardkommentar des Serviceteams nur schlechte Bewertungen und Warnungen. Dass Ruflotse immerhin noch auf 40 von 100 Punkten kommt, hat er den technischen Bewertungen für Google Safebrowsing, Antivirenschutz und Jungendschutz zu verdanken. Platz 5: Zwei nicht viel bessere Kritiken (1 von 5 Sternen) auf dem Bewertungsportal ciao.de – beantwortet vom Ruflotse-Serviceteam mit der (im Wortlaut identischen) Antwort aus dem Webutation-Forum. Auf den folgenden Plätzen Presse- und Magazinartikel zum Launch des Dienstes. Alte und einige aktuelle: Ruflotse verspricht jetzt auch irgendwas mit “Surfschutz” mit “Jugendschutz- und Inhaltefilter” bei Facebook… Pic: PatHayes