Qualität vor Quantität im Personalmarketing, sicher?!

Immer und immer wieder lese und höre ich, dass die Qualität wichtiger sei als die Quantität. Im Bereich Recruiting ist das so eine Art Mantra, das scheinbar niemand auch nur im Geringsten zu hinterfragen wagt. Sehr gerne wird dieses universelle Totschlag-Argument verwendet, wenn es darum geht, das Nachdenken und die tiefer gehende Auseinandersetzung (gerade mit neuartig erscheinenden Methoden und Optionen im Personalmarketing) zu umgehen oder diese anzuzweifeln.

“Ich brauche keine Klicks, ich brauche Bewerber. Ich brauche nicht viele Bewerber, ich brauche gute Bewerber. Ich brauche nicht einfach gute Bewerber, ich brauche gute Mitarbeiter. Aber, verdammt nochmal, ich krieg sie einfach nicht. Denn, Sie wissen ja, Qualität geht vor Quantität. Naja, es ist halt wie es ist. Und deswegen machen wir jetzt erstmal weiter wie gehabt.”

Ich bin jetzt mal ganz direkt. Wer den Spruch “Qualität vor Quantität” im Recruiting (oder sonstwo) unreflektiert und universell nachplappert, weiß einfach nicht, wovon er da redet. Warum ich (gerade auch im Recruiting-Kontext) so denke, erläutere ich gerne anhand eines einfachen Modells.

Mein kleiner süßer Arbeitsmarkt

Stellen wir uns einen Mini-Arbeitsmarkt vor. Er besteht aus 10 jobsuchenden Sachbearbeitern und 2 gleich großen konkurrierenden Unternehmen, die exakt das Gleiche anbieten und den gleichen Standort haben. Diese 2 Unternehmen suchen aktuell jeweils 5 Sachbearbeiter. Von den 10 auf dem Arbeitsmarkt verfügbaren Sachbearbeitern sind 6 gut und 4 schlecht.

Modell des Arbeitsmarktes

Unsere beiden Unternehmen gestalten ihr Personalmarketing absolut identisch. Sie schalten jeweils eine Anzeige bei der einzigen Jobbörse, bei der sich wiederum alle Jobsuchenden tummeln. Diese Jobbörse hat entsprechend eine Reichweite von 10. Diese wird zu gleichen Teilen (5:5) an die beiden Unternehmen weiter gegeben. Damit haben die Firma A und die Firma B die gleiche statistische Wahrscheinlichkeit, jeweils 5 Bewerber abzukriegen.

Modell der Reichweite auf dem ArbeitsmarktAuffällig bei dieser Betrachtung ist, dass bei der gewählten Vorgehensweise keine der Firmen die Einstellung von 5 guten Sachbearbeitern sicher gewährleisten kann. Jede ist gezwungen, ein paar schlechte Kollegen einzustellen oder die Stellen unbesetzt zu lassen.

(Wichtig: Bei identischer Reichweite würden bei dieser Betrachtung Maßnahmen eines Unternehmens, die auf die Akquisition ausschließlich guter Bewerben abzielen (Qualität), theoretisch einen Vorteil erzielen. Zum Beispiel würde die Firma mit dem besseren Employer-Branding alle guten Kandidaten für sich gewinnen und die schlechten der Konkurrenz überlassen. ABER: Die Reichweite ist in der realen Welt leider nicht gleich verteilt, was weitreichende Konsequenzen für die Marktteilnehmer hat.)

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Reichweiten-Effekt oder “Quantität vor Qualität”

Simulieren wir nun eine Situation, in der sich aufgrund unterschiedlicher Personalmarketing-Strategien die quantitative Reichweite zugunsten der Firma A verschiebt.

Sagen wir mal, Firma A schaltet Werbung bei Google und erwischt die Jobsuchenden, bevor sie bei der einzigen vorhandenen Jobbörse landen. Die Reichweite verschiebt sich nun auf 8:2. Dieser Zustand ergibt 3 statistisch realistische Szenarien, in denen die Firma A jeweils 8 Bewerber und die Firma B 2 Bewerber zur Auswahl hat.

Qualität und Quantität im Personalmarketing

In allen drei Fällen schneidet die Firma A besser als die Firma B ab, was die Quantität und die Qualität des Kandidaten-Pools angeht. Ja, im Fall 1 erreicht die Firma A nicht das optimale Ergebnis von 5 guten Bewerbern. Aber sie steht mit 4 nun besser als in der Abb 2. da und schlägt die Firma B erheblich, da sie einfach mehr gute Leute einstellen kann. Dabei ist es unerheblich, ob Firma B voll auf die Qualität zielt. Das bringt sie einfach nicht weit genug, weil die Konkurrenz (Firma A) dank der wesentlich höheren Reichweite den Markt leer geräumt hat.

Eine noch weitere Erhöhung der Reichweite für die Firma A auf 9:1 (quantitative Verbesserung) würde die Firma A in allen drei Fällen in eine optimale Lage versetzen, da sie in jedem Fall mindestes 5 gute Bewerber zur Auswahl hätte und der Konkurrenz lediglich einen Bewerber überlassen würde.

Wann ist “Qualität” erkennbar

Nun würden die Verfechter der “Qualität vor Quantität” Theorie womöglich erwidern: Wozu der ganze Aufwand mit der großen Reichweite? Wozu so viele Frösche (Quantität) anlocken, wenn man ganz gezielt auf Prinzen-Jagd (Qualität) gehen kann? Für uns ist Qualität wichtig. Wir möchten auch nur Qualität anlocken. Da antworte ich, tolle Fantasie Ihr Theoretiker :-P.

Habt Ihr eigentlich schon mal überlegt, dass der Pool der Bewerber (wie in Abb 1.) aus der Perspektive eines Unternehmens im Grunde zunächst homogen ist. Das heißt, so schön, wie oben (grün vs. rot) lässt sich zwischen gutem und schlechtem Potenzial im Vorfeld der Ansprache nicht genau unterscheiden.

Die Qualität eines Bewerbers ist eine komplexe Gleichung, die neben seinem Profil und seinen Präferenzen erst durch das Angebot des Unternehmens (Arbeitgebermarke und so) vervollständigt wird.  Erst wenn ein potentieller Bewerber die Karriere-Webseite des Unternehmens besucht und die Arbeitgeberpositionierung mit seinen Präferenzen abgeglichen hat, vervollständigt sich das Bild seiner subjektiven Qualität aus der Sicht eben dieses konkreten Unternehmens, auf dessen Anzeige er gerade geklickt hat. Davor ist der überwältigende Großteil der Klicks – der potentiellen Bewerber – einfach nur grau.

Modell zur Qualität der Bewerber

Und noch mal zum Mitschreiben: Es ist kaum möglich, treffsicher die Qualität eines potentiellen Bewerbers vor seinem Kontakt mit der Karriere-Webseite zu bestimmen. Man kann höchstens vermuten, wo man mit seinen Maßnahmen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit gute Bewerber erreichen kann.

Qualitativ hochwertige Quantität im Personalmarketing

Unter diesen Umständen ist es eine absolut logische Schlussfolgerung, dass Unternehmen, die eine nachhaltige Versorgung von qualitativ passenden Bewerbern sicher stellen wollen, sich in erster Linie um die Reichweite, also um die Quantität der potentiellen Bewerber auf Ihrer Karriere-Webseite, kümmern müssen. Denn nur diejenigen, die die meisten grauen Männchen und Frauchen (Abb 4.) (in der realen Welt von mir aus den jeweils aussichtsreichsten Potential-Pool) anlocken können, haben die besten Chancen, genügend gute Leute zu bekommen.

“Qualitativ hochwertige Quantität” ist aus meiner Sicht die einzig sinnvolle und nachhaltige Gewinner-Strategie in der Welt der knapper werdenden Kandidaten. In Kombination mit einer vernünftigen Arbeitgebermarke natürlich und der Fähigkeit, Zahlen zu erheben und zu verstehen. Alles andere ist Augenwischerei. Diejenigen, die blind dem “Qualität vor Quantität” Mantra folgen, ohne zu begreifen, was sie da tun, werden einfach nach und nach verdursten wie die Firma B in der Abb. 3. Viel Spaß dabei!

Und vergesst bitte auch abseits des Themas hier nicht: Qualität vor Quantität ist ein Luxus-Ansatz – bei Knappheit nur bedingt praktizierbar. Gilt z.B. für Geld, Essen, Schlaf, Wohnraum in Hamburg und Klopapier im Wald. Im Wald und auf dem Arbeitsmarkt gilt, dass Qualität erst dann eindeutig vor die Quantität rückt, wenn die Quantität gleichmäßig und in ausreichendem Maße zwischen den Marktteilnehmern verteilt ist (wie in Abb. 2).

Wer hält dagegen? 🙂

Internet Made in Germany

Der gestrige Tag fing mit einer hitzigen Diskussion in der Firma an.
Ich habe mich gefragt, warum “Internet-Software” nie (oder kaum) mit einem “Made in Germany” gekennzeichnet wird. Ich persönlich habe ausschließlich gute Assoziationen mit diesem Label. Und da wir selbst auch “Internet-Software” entwickeln, erschien es mir plötzlich überlegenswert, so etwas einzuführen. Quasi als Statement und Marketingmaßnahme gleichzeitig.

Das im Moment populäre “Made with Love in Cologne, Bavaria, Hamburg oder Gelsenkirchen” ist natürlich niedlich. Aber warum nicht gleich die ganze (Qualitäts-)Fahne zeigen, und wenn man überzeugt ist, gute Sachen zu machen, die dieses Label verdienen, diese auch entsprechend klar und deutlich kennzeichnen?

Überraschend war die ablehnende Haltung meiner Kollegen. Die Begründung: unser “Made in Germany” würde sich nun mal wesentlich besser auf Fahrrädern, Autos und sonstigem anfassbaren Ingenieurs-Zeugs machen, jedoch auf keinen Fall auf  Internet-Software-Produkten. Deutschland sei nun mal kein Software- und schon gar nicht ein Internet-Leuchtturm.

Im Gegensatz zum Ingenieurswesen & Co. würden die neuen Technologien gesellschaftlich nicht unterstützt sondern eher behindert. Und jeder wüßte, dass hier deshalb höchstwahrscheinlich nichts Gutes entstehen könne. Also, im Bezug auf die Glaubwürdigkeit sei das “Internet made in Germany” ungefähr so wertvoll wie  “Democracy made in North Korea”. Man würde sich also kaum einen Gefallen tun, darauf extra hinzuweisen. Ich war enttäuscht, fast schon beleidigt  und wollte diese Sichtweise einfach nicht verstehen.

…Bis ich ein paar Stunden später ein Statement von ver.di zum Thema Crowdsourcing und Cloudworking gelesen habe. Jegliche Zweifel und Kommentare erübrigen sich. Here we go:

Am 19. Oktober trafen sich in Berlin Mitglieder von Betriebsratsgremien und Aufsichtsräten großer deutscher IT-Unternehmen um die beschäftigungspolitische Perspektive der Branche zu analysieren. Ergebnis des Austausches: Crowdsourcing und Cloudworking bergen gigantische Gefahren für Gesellschaft und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dabei geht es nicht nur um die massenhafte Vernichtung guter, sicherer und hochqualifizierter Arbeitsplätze und eine massive Verschlechterung von Arbeitsbedingungen. Durch sinkende Zuflüsse in die Sozialversicherungssysteme bei gleichzeitig steigenden Anforderungen und wegbrechende Steuereinnahmen werden wesentliche Säulen unseres Gemeinwesens gefährdet.

In einem gemeinsam unterzeichneten Berliner Cloudworking-Crowdsourcing-Papier fordern die Vertreter der Mitbestimmung auf, sich mit den gesellschaftlichen Konsequenzen von Crowdsourcing und Cloudworking auseinanderzusetzen. Dabei soll es Ziel sein, dass mit qualifizierter Arbeit auch in Zukunft existenzsichernde und wohlstandsaufbauende Einkommen in Deutschland und in jedem Land erzielt werden können und eine Daseinsvorsorge möglich bleiben muss.

Ich will mich wirklich nicht echauffieren, aber das hier ist eine echte Schande für den Standort Deutschland! Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen.

Liebe ver.di und alle anderen “Internet Made in Germany” -Menschen ist Euch eigentlich nur annähernd bewusst, womit ihr euch da in euren “Das Ding namens Internet”- Sitzungen beschäftigt?! Und dass ihr selbst aufgrund Eurer Unwissenheit die wohl gigantischste Gefahr für Gesellschaft und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seid?!