Endlich mal vom Schreibtisch loseisen: Pausenkultur in deutschen Unternehmen

Ein kürzlich veröffentlichter Umfrage-Report von Jobware hat ergeben, dass 55% der Teilnehmer ihre Mittagspause am Schreibtisch verbringen. Sie essen also an ihrem üblichen Arbeitsplatz. Raus aus dem Trott des Arbeitsalltags? Eher nicht. Wer in der Kantine isst oder zum Imbiss geht, hat da schon bessere Chancen. 11% der Teilnehmer verzichten sogar ganz auf die Mittagspause. Anlass genug, sich mit dem Thema Pausenkultur zu beschäftigen.

Quelle: Jobware Umfrage-Report 2017 – Wir fragen. Personaler und Bewerber antworten.

Pausenkultur in Deutschland

Pausenkultur ist ein Teil der Unternehmenskultur. Und so wie Unternehmen in Strukturen, Arbeitsweisen und Bedingungen verschieden sind, unterscheiden sie sich auch in der Pausengestaltung.

Am 22.07. widmete Deutschlandfunk dem Thema eine Sendung. Experten wie Prof. R. Wieland, Leiter des Arbeitsbereiches Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Wuppertal und Kerstin Franke, die als Gesundheitsmanagerin Unternehmen in solchen Belangen berät, sprachen über die Herausforderungen des erfolgreichen Pause-Machens.

Pausenkultur in Deutschland, da ist man sich einig, ist im Vergleich zu anderen Ländern wie etwa Japan oder Schweden in der Arbeitskultur nicht sonderlich tief verwurzelt.

Wer viel Pause macht, ist ein Schlappschwanz.

formuliert Prof. Wieland. Das ist natürlich überspitzt, zeigt aber die Tendenz, mit der die Pause in deutschen Unternehmen auch heute noch mitunter bewertet wird.

Dabei ist lange bekannt, dass regenerierte und gesunde Arbeitnehmer effektiver arbeiten. Unternehmen müssten also ein praktisches ökonomisches Interesse daran haben, dass ihre Mitarbeiter mal runter- oder rauskommen können. Und selbstverständlich gibt es sie, die Unternehmen, die sich um ihre Mitarbeiter kümmern und ganzheitliche Konzepte für deren Wohlbefinden erstellen. Pausengestaltung kann vielfältig sein. Ob sportlich oder entspannend, kollegial oder individuell, mit oder ohne Event-Charakter.

Trotzdem ergab eine Studie der Krankenkasse pronova BKK, dass nur 4 von 10 Mitarbeitern jeden Tag eine Mittags- oder Erholungspause machen. Ein Drittel der Angestellten verlässt den eigenen Arbeitsplatz den ganzen Arbeitstag lang überhaupt nicht.

Dafür kann es natürlich verschiedenste Gründe geben. Termin- und Zeitdruck und mangelnde Vorbilder zählen aber mit Sicherheit dazu. Doch selbst wenn eine Mittagspause gemacht wird, heißt das nicht, dass diese automatisch zur Erholung taugt. Am Schreibtisch vorm PC zu essen bietet Angestellten, die dort ohnehin den ganzen Tag verbringen, nur wenig Abwechslung.

Natürlich arbeiten nicht alle Deutschen in einem Büro oder haben den gleichen Zeitraum für eine Mittagspause zur Verfügung – wenn überhaupt. In Betrieben, in denen chronischer Personalmangel herrscht, wie etwa in Krankenhäusern, entfallen die (eigentlich ja gesetzlich vorgeschriebenen) Pausen häufig auch ganz.

Quelle: pronova BKK – Studie: Betriebliches Gesundheitsmanagement 2016

Die Rolle von Unternehmen und Führungskräften

Das plakative Zitat von Prof. Wieland soll auf ein grundlegendes Mentalitätsproblem aufmerksam machen. Denn irgendwann ist selbst der fleißigste und disziplinierteste Mitarbeiter erschöpft und die Konzentration lässt nach – was sich zwangsläufig auf die Qualität der Arbeit auswirkt. Mehr noch ist dies im Home Office der Fall.

Gesundheitsmanagerin K. Franke und Prof. Wieland sind sich einig: Pausenkultur ist Führungskultur. Die Vorbildfunktion von Vorgesetzten spielt eine besondere Rolle. Die Studie der pronova BKK zeigt aber: 78% der deutschen Arbeitnehmer sehen in ihren direkten Vorgesetzten kein Vorbild, wenn es um gesundheitsbewusstes Arbeiten geht. Doch nicht jeder kann sich davon frei machen, wenn die Vorgesetzten ein ungesundes Arbeitsverhalten vorleben.

Ist das soziale Umfeld Pausen gegenüber generell ungnädig eingestellt, lässt sich das nicht von einem Tag auf den anderen Tag ändern. Führungskräfte können aber mit einer Korrektur ihres eigenes Verhaltens mit gutem Beispiel vorangehen um eine größere Toleranz bei ihren Mitarbeiter zu schaffen. Pausenkultur kann nur dann funktionieren, wenn Arbeitnehmer das Gefühl haben, sich die Pause nehmen zu können, ohne dass sie schräg angeguckt werden.

Viele Unternehmen holen sich externe Anregungen zur Gestaltung ihres Gesundheitsmanagements. Angebote wie Massagen, Yoga, Atem- und Stimmübungen kommen aber nicht bei jedem Mitarbeiter gleichermaßen gut an. Fehlende Selbstbestimmung ist nur ein weiterer Faktor, der bei überlasteten Arbeitskräften zu mehr Frustration führen kann. Die Bedürfnisse sind eben verschieden.

Klar ist aber auch: Wer in der Pause nur 30 Minuten Zeit hat (oder noch weniger), der wird es kaum schaffen, in diesen 30 Minuten zu essen, Mittagsschlaf einzulegen, autogenes Training und vielleicht noch ein paar Übungen zur Entlastung der Wirbelsäule zu machen.

“Kosmetische” Pausen?

Prof. Wieland weist auch darauf hin, dass eine Pause, selbst dann wenn sie ordentlich gestaltet ist, keine grundlegenden Missstände im Unternehmen kitten kann. Schlechtes Betriebsklima, überquellende Terminkalender und sich häufende Überstunden zählen zu den strukturellen Problemen, die dazu führen können, dass Mitarbeiter ausgepowert und emotional und physisch belastet sind.

Wem am Wohlbefinden seiner Angestellten gelegen ist, muss also auch Ursachenforschung betreiben. Auf lange Sicht können manchmal (zum Beispiel im Falle der Krankenhäuser) nur umfassende Maßnahmen (wie Aufstockung des Personals) zu einer Verbesserung der Gesamtsituation führen. Trotzdem lohnt es sich, auch kurzfristig in Aktion zu treten, mit einem Auge darauf, was unmittelbar machbar ist.

Die Pause muss nicht zwangsläufig zum Event werden, damit sie zur Mitarbeiterbindung beiträgt

2015 räumte der Otto Konzern mit seinem Konzept “inspirierende Mittagspause” einen Human Resources-Excellence-Award ab. Ob Poetry Slam, Konzert oder Lesung – die kulturellen und unterhaltsamen Pausen finden bei den Mitarbeitern große Zustimmung.

Bei einer internen Umfrage sagten fast 85 Prozent der Veranstaltungsbesucher, dass der ‚Culture Club‘ zu einer positiven und inspirierenden Unternehmenskultur beiträgt.

heißt es dazu im Newsroom des Otto Konzerns. Solche Maßnahmen wirken nach innen und außen – sowohl im Hinblick auf die Stimmung der Mitarbeiter als auch als Beitrag zur hippen Employer Brand.

Doch es muss nicht unbedingt gleich ein Privatkonzert sein, damit Angestellte mehr von ihrer Pause haben. Es geht auch bescheidender: häufig ist der Wunsch nach einer Küche und ansprechenden Aufenthaltsräumen zu vernehmen, in denen Mitarbeiter Essen nicht nur aufwärmen, sondern auch frisch zubereiten und die Mittagspause (wenn gewollt) gemeinsam verbringen können.

Und wer das Glück hat an einem so schönen Ort wie der Hamburger Alster zu arbeiten (so wie wir), der sollte in Erwägung ziehen, nach dem Essen öfter mal einen kleinen Spaziergang einzulegen.

Was sind Eure Erfahrungen im Bezug auf die Pausenkultur in Unternehmen?

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