LinkedIn-Gründer Konstantin Guericke über die Deutschland-Strategie von LinkedIn

Konstantin_GuerickeDer gebürtige Hamburger Konstantin Guericke ist Mitgründer von LinkedIn, dem größten internationalen Business-Netzwerk. Wir haben ihn zu LinkedIns Deutschlandstrategie, dem Wettbewerber XING und LinkedIns Vorteilen für Personaler befragt. Herausgekommen ist ein spannendes Interview, das wir heute in voller Länge präsentieren.

1.) LinkedIn hat im Februar seine deutsche Version gelauncht und angekündigt, bis zum Jahresende von 500.000 auf 1 Mio. Nutzer wachsen zu wollen. Was hat sich seitdem getan?

Wir konzentrieren uns auf Mundpropaganda und kümmern uns daher in erster Linie um unsere bestehenden Nutzer. Wie bei Facebook wird sich das Wachstum beschleunigen, sobald unsere Mitglieder den Mehrwert von LinkedIn besser verstehen und schätzen.

In den letzten sechs Monaten haben wir uns auf die Umsetzung von Verbesserungsvorschlägen konzentriert. So haben wir beispielsweise die Gruppenfunktionalität und die Funktion „Neues aus meinem Netzwerk“
weiterentwickelt und die deutsche Version insgesamt verbessert.

Ich habe in den letzten Monaten mit zahlreichen deutschen LinkedIn Nutzern persönlich gesprochen, um die Meinungen und das Nutzungsverhalten besser zu verstehen. Viele von ihnen sind verständlicherweise durch die Erfahrung mit Xing geprägt. Sie suchen die bereits bekannten Funktionen bei LinkedIn und nehmen neue Funktionen oft nicht sofort wahr. Unser Produktvorsprung von zwei Jahren wird daher oft gar nicht wahrgenommen. Doch sobald Nutzer die Funktionalität finden und ausprobieren, sind die vom praktischen Nutzen und der damit verbundenen Zeitersparnis positiv überrascht. Wir haben unsere erste LinkedInsiders Tagung in Köln gemacht und werden mehr im Bereich Seminaren machen.

Viele der neuen Funktionen von XING gibt es bei LinkedIn im Schnitt schon seit zwei Jahren. Dadurch sind sie deutlich ausgereifter (z.B. Frage & Antwort, Unternehmensprofile, Status). Hinzu kommt, dass einige
Kernfunktionen von LinkedIn (z.B. mehrsprachige Nutzerprofile, Empfehlungen, Umfragen, Dienstleister-Marktplatz, Schaltung von Textanzeigen) auf dem deutschen Markt immer noch einzigartig sind.

2.) Worin sehen Sie konkret den Mehrwert von LinkedIn für karrierebewußte deutsche Nutzer, grundsätzlich und im Vergleich zu Xing?

Gerade für Karrierezwecke ist ein LinkedIn Profil reichhaltiger und vertrauenswürdiger, da es nicht nur aus Eigenaussagen besteht, sondern auch beispielsweise Empfehlungen von Arbeitgebern enthält. Außerdem verfügt LinkedIn über ein Expertenmodul innerhalb der Frage & Antwort Applikation: Unter allen Antworten wählt der Frager die Beste aus. Mit dieser Funktion wird das Fachwissen von relevanten LinkedIn Mitgliedern beurteilt. LinkedIn stellt auf diese Weise Anreize, fachliche Fragen zu stellen und bei Antworten durch Qualität zu glänzen.

Ein aktuelles Profil auf LinkedIn ist außerdem wichtig, um von den richtigen Personalern und Headhuntern gefunden zu werden. Auf LinkedIn sind rund eine halbe Million Recruiter aktiv. Zudem verfügt LinkedIn in Ländern wie England, Frankreich, Niederlanden, Belgien, Polen, Schweiz und Italien laut Google Trends über die höchste Anzahl an täglichen Nutzern. Europäische Headhunter suchen hauptsächlich auf LinkedIn nach passenden Kandidaten. Wer sich also eine Karriere in Europa offen halten möchte, sollte ein sorgfältig gepflegtes LinkedIn Profil aufbauen, Empfehlungen sammeln und seine Expertise über gute Antworten zeigen. Um auch von Mitgliedern gefunden zu werden, die Suchbegriffe in einer anderen Sprache eingeben, sollte man sein LinkedIn Profil direkt in mehreren Sprachen anlegen.

3.) Worin besteht der Mehrwert von LinkedIn für deutsche Recruiter, und welche Such-Features sind im Vergleich zu Xing in Ihren Augen besonders interessant?

Wer nach Qualität sucht, wird auf LinkedIn fündig. Schließlich interessieren sich Headhunter weniger für Friseurinnen und Azubis, sondern eher für Fachkräfte im mittleren und oberen Management. Fach- und Führungskräfte, die sich beruflich auf internationalem Parkett bewegen, kommt an LinkedIn nicht vorbei, da wir mit 11 Millionen Mitgliedern das größte europäische Online-Businessnetzwerk sind. Die Kontakt-aufnahme zu anderen Mitgliedern ist auf LinkedIn nur über eine vorhergehende Anfrage und eigene Vorstellung möglich. Man kann auch nicht von unbekannten Personen in Gruppen oder zu Events eingeladen werden. Dieser Schutz verhindert, dass gefragte Führungskräfte nicht mit ungewollten Nachrichten oder Kontaktanfragen überflutet werden und in der Regel nur qualitativ hochwertige Nachrichten erhalten.

Ein effizientes und zentrales Tool für Recruiter ist unsere Suchfunktion. Sucht ein Personaler zum Beispiel nach „controller“, so bekommt er nicht nur 347.000 Ergebnisse, sondern sieht auch sofort, welche Firmen die meisten Controller beschäftigen (Siemens hat 1.050, IBM 733, Microsoft 682 und Ericsson 649), und kann die Suche dementsprechend eingrenzen. Mit zwei Klicks sieht er (oder sie!) dann die 55 Siemens Controller in München und kann dann auch direkt nachvollziehen, wie viele in dieser Auswahl vorher wo gearbeitet oder studiert haben. Das spart nicht nur Zeit sondern liefert dazu eine Menge Informationen über den Markt.

Die Suchergebnisse lassen sich auf verschiedene Arten anzeigen (z.B. nach Relevanz, Beziehung, Empfehlungen). Der Recruiter kann sich auch aussuchen, welche Profilfelder er in den Ergebnissen sehen will und sich zudem noch seine Lieblingsansicht speichern. Man spart auch Zeit, indem man sich gleich in den Resultaten anzeigen lässt, welche gemeinsamen Kontakte oder Gruppen man zum Beispiel mit interessanten Kandidaten hat. Über die Profile kann man zudem mehr über die Arbeitgeber erfahren, zum Beispiel wo ein Kandidat arbeitet oder gearbeitet hat. Mit einem Klick gelangt man auf die jeweiligen Unternehmensprofile, die neben den gut strukturierten Daten aus den Profilen der Mitarbeiter auch externe Daten wie z.B. Unternehmensbeschreibungen, Unternehmens-nachrichten, Mitarbeiterzahlen, Aktienkurse und Umsatzzahlen enthalten. Alle diese Funktionen sowie Suchaufträge stehen allen Mitgliedern im Rahmen der kostenlosen LinkedIn Mitgliedschaft voll zur Verfügung.

4.) Nach den mir vorliegenden Zahlen von heute morgen, hat LinkedIn derzeit 518 Tausend Mitglieder in Deutschland. Welche Maßnahmen planen Sie, um die deutsche Nutzerbasis zu verbreitern?

Ich glaube, dass die acht Prozent der XING Mitglieder, die die kostenpflichtigen XING Premiumdienste nutzen, sich früher oder später sicher bei LinkedIn zumindest ein zweites Standbein aufbauen werden, da sie Online-Networking schätzen und der Aufwand gering ist. Schließlich können sie ihre XING Kontakte als VCF Datei herunterladen und bei LinkedIn hochladen. Zudem bietet LinkedIn auch eine Funktion, Lebensläufe zu importieren.

Noch interessanter sind für uns aber die 92 Prozent der XING Mitglieder, die durch ihre Basismitgliedschaft bei XING so stark eingeengt sind, dass sie dort nur geringen Nutzen haben. Für die Fach- und Führungskräfte dieser 7,3 Millionen Menschen ist LinkedIn ideal, da 80 Prozent der XING Premiumdienste (z.B. volle Suchfunktion, Ansprache von Kontakten zweiten und dritten Grades, Direktansprache von Gruppenmitgliedern, Nachrichten an eigene Kontakte, wer das eigene Profil angesehen hat, Powersuche nach Kollegen, Statusmeldungen, unbegrenzte Nachrichten aus dem Netzwerk, Kontaktlistenexport, Stellenanzeigen, Dateianhänge) bei LinkedIn vollkommen kostenlos sind.

Aus meinen Gesprächen mit deutschen Nutzern geht ganz klar hervor: In Deutschland nehmen die Nutzer an, dass LinkedIn ähnlich aufgebaut ist wie XING und dass der Service ohne Premium-Mitgliedschaft nicht vernünftig nutzbar ist. Aber das ist falsch. Bei LinkedIn können auch Basismitglieder fast alle Funktionen kostenlos nutzen .

Ich bin mir sicher, dass LinkedIn aufgrund des besseren Schutz der Privatsphäre weiterhin Leute anspricht, für die XING einfach ein zu offenes System ist, oder denen Xing nicht effizient und direkt genug auf Business-Ziele eingeht. LinkedIn ist seit über drei Jahren profitabel und verfügt mit 45 Millionen Mitgliedern über die mit Abstand größte Umsatzbasis. Nutzer aus Deutschland, Österreich und der Türkei werden sich langfristig nicht mit einer Insellösung zufrieden geben, sondern dort aktiv sein, wo es die meisten Arbeitgeber, Headhunter, Investoren und Kunden gibt. Und diese drei Länder ausgenommen, liegt LinkedIn in allen anderen europäischen Ländern in der täglichen Nutzung vor XING.

5.) Sie betonen in Interviews immer wieder das organische Wachstum von sozialen Netzwerken, XING dagegen unterhält seit längerem eine umfassende Werbekampagne und verzeichnet starken Zuwachs. Planen Sie konkrete Maßnahmen, um die Stärken von LinkedIn in Deutschland offensiver zu kommunizieren oder werden Sie an Ihrer werbefreien organischen Wachstumsstrategie festhalten?

Massive Werbekampagnen sind nicht immer das beste Mittel, um Mitglieder zu gewinnen. Trotz starker Werbekampagnen und dem Aufkauf von mehreren internationalen Netzwerken verlangsamt sich das Wachstum von XING in Deutschland kontinuierlich. Aus den von XING selbst veröffentlichten Zahlen geht hervor, dass XING im zweiten Quartal nur 166.000 deutsche Mitglieder weben konnte. Das ist im Vergleich zu den zwei vorherigen Quartalen ein Abfall von 17% an neuen Mitgliedern. Im zweiten Quartal kamen bei XING nur noch 29.000 neue Premiummitglieder hinzu — das ist gegenüber dem Vorquartal ein Einbruch um 48% und die niedrigste Anzahl in zwei Jahren.

Vielleicht wäre XING ohne die massive Werbekampagne noch stärker eingebrochen, aber wir sehen die Resultate als Bestätigung, dass neue Mitglieder nicht käuflich sind und dass sich im Markt etwas ändert: Seit Februar gibt es mit einem deutschsprachigen LinkedIn Auftritt zum ersten Mal eine echte Alternative. Und Konkurrenz ist für Endanwender sicher ein Vorteil. Wir werden in Zukunft noch intensiver mit unseren eigenen Mitgliedern online und offline kommunizieren. Wenn mehr Mitglieder die Vorzüge von LinkedIn kennen und schätzen, dann werden sie auch ihre eigenen Kontakte einladen — zumal man wesentlich mehr Wert aus LinkedIn schöpft, wenn man mit seinen eigenen Kontakten auf LinkedIn verbunden ist .

Zwei Jahre Produktvorsprung und die Möglichkeit, 80 Prozent der XING Premiumdienste bei LinkedIn kostenlos nutzen zu können sind aus meiner Sicht gute Gründe, LinkedIn bei den eigenen Kontakten bekannt zu machen.

6.) LinkedIn hat vor einigen Tagen eine Kooperation mit SAP bekannt gegeben. SAP-Kunden erhalten im Rahmen dieser Kooperation einen vergünstigten Zugang zum Recruiter Basic Starter Package. Ist dies lediglich eine Folge des 23 Mio. Investments von SAP Ventures bei LinkedIn oder planen Sie im Recruiting-Bereich zukünftig auch die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen?

SAP ist – wie übrigens auch die Samwer Brüder – in LinkedIn investiert, aber diese Kooperation kommt aus einer anderen Ecke. Als internationales Unternehmen ist LinkedIn unter SAP Mitarbeitern natürlich sehr beliebt. Aber noch wichtiger war das Netzwerk von SAP-Beratern. Da 140.000 SAP-Berater bereits ihr professionelles Profil bei LinkedIn pflegen, war LinkedIn einfach die erste Wahl für SAP, um ihre Channel Partner beim Recruiting zu unterstützen. Business ist heutzutage eben international.

Wir planen weitere Partnerschaften, da sie uns eine gute Möglichkeit bieten, den Bekanntheitsgrad von LinkedIn zu steigern. Und die Idee, sich über Vorstellung eines gemeinsamen Kontaktes miteinander zu vernetzen, ist ja auch tief in der Gründungsidee von LinkedIn verankert.

7.) Planen Sie das Recruiter-Modul, das in den USA bereits seit längerem angeboten wird, auch in einer deutschen Version anzubieten bzw. die englischsprachige Version hierzulande stärker bekannt zu machen? Planen Sie die Einführung anderer Neuerungen, die für deutsche Recruiter interessant sind?

Ja, die LinkedIn Talent Advantage Anwendungen gibt es schon seit über zwei Jahren und bringen größeren Recruiting-Organisationen einen echten Mehrwert. Sie werden von Headhunting-Firmen ab zehn Mitarbeitern genutzt, um die Effizienz zu steigern und Kandidaten besser zu verwalten. Solche Firmenlizenzen bringen uns weltweit guten Umsatz und sind zusammen mit Werbung für uns eine wichtigere Umsatzquelle als Premium-Mitgliedschaften. Sobald Umsatz in Deutschland im Vordergrund steht, werden wir auch eine deutsche Version von Talent Advantage anbieten. Aber mein Eindruck ist, dass Recruiter in größeren Firmen auch mit der englischen Version ganz gut zu Recht kommen und deutsche Organisationen daher lieber zusätzliche Funktionen auf Englisch hätten als die gleichen Funktionen auf Deutsch.

Wir bedanken uns herzlich für das offene und ausführliche Gespräch.