Smart HRM: Chancen und Risiken digitaler Tools im Personalbereich

Prof. Christian Gärtner hat mit „Smart HRM“ das erste umfassende Fachbuch geschrieben, das in der Tiefe die Auswirkungen neuer Technologien auf die HR-Arbeit auslotet. Entlang der Linie Künstliche Intelligenz, Analytics & Automatisierung klärt er über Grundbegriffe und Konzepte auf und vermisst deren Auswirkungen auf die HR-Arbeit anhand praktischer Einsatzszenarien.

Egal ob im Personalmarketing, dem Performance Management, der Personalentwicklung, -planung oder -bindung: Die Liste der digitalen Tools für Analytics und Automatisierung ist lang. Was geht bereits und was geht noch nicht? Während zahlreiche Personalmarketer immer noch von Künstlicher Intelligenz reden, als wäre es Zauberei, fasst Gärtner in „Smart HRM“ sachlich zusammen, was sich hinter all diesen Schlüsselbegriffe verbirgt. Anhand zahlreicher Beispiele veranschaulicht Gärtner die Chancen von Algorithmen, Big Data und Machine Learning. Gleichzeitig wirft er die Frage auf, welche Risiken sie bergen. Anstatt verallgemeinernde Globalurteile über die Sinnhaftigkeit von digitalen Tools in der Personalarbeit zu fällen, befasst Gärtner sich mit den Tools in verschiedenen Einsatzbereichen. Durch diese Detailanalysen ist es möglich, einigen Antworten ein Stück näher zu kommen.

Können Maschinen besser und billiger arbeiten als Menschen?

Eine Frage, die in Diskussionen zum Thema Automatisierung und künstliche Intelligenz nicht nur in Personalabteilungen immer wieder auftaucht, ist die Frage nach der Ersetzbarkeit des Menschen. Arbeiten Maschinen präziser und billiger als Arbeitskräfte aus Fleisch und Blut? Bereits bei dieser Frage müsste einem auffallen, dass sie nicht ohne einen Blick auf das Einsatzgebiet zu beantworten ist.

Automatisierung ist nicht gleich Automatisierung und kann auf unterschiedlichen Stufen agieren. Automatisierte Personalauswahlentscheidungen sollen beispielsweise Vorurteile und Diskriminierungen vermeiden, um eine faire Auswahl zu treffen. Doch bei persönlich geprägten Entscheidungen kommen immer wieder Zweifel auf, ob Maschinen wirklich unabhängiger und vorurteilsfreier entscheiden können. Was es bereits für Möglichkeiten gibt und unter welchen Bedingungen diese Art der Automatisierung funktionieren kann, erklärt Gärtner mit geschärftem Blick.

Programmatic Job Advertising als hilfreiche Automatisierung

Wie groß der Mehrwert einer eingesetzten Automatisierung im Vergleich zum Aufwand ist, muss für jeden Einsatzbereich bewertet und entschieden werden. Bei einer gewissen Anzahl an offenen Stellen bietet der automatische Einkauf von Werbeflächen für Stellenanzeigen einen deutlichen Mehrwert, da die Umsetzung irgendwann händisch nicht mehr durchzuführen ist. Auch auf diese Möglichkeiten geht Christian Gärtner am Beispiel des Jobspreaders genauer ein.

Smart HRM: Buchcover

Smart HRM: Interview mit Prof. Christian Gärtner

Dein Buch trägt den Titel Smart HRM. Wie wird HRM smart?

«Smart» bedeutet zunächst intelligent oder clever. Und zu einer intelligenten Problemlösung gehört auch das Benutzen von Hilfsmitteln, also Tools, heutzutage eben oft digitaler Tools. Also müssen Personaler lernen, wie sie digitale Tools einsetzen können und was deren Schwächen sind, um letztlich gute Antworten auf komplexe Probleme finden zu können. Das geht los bei der Frage, welche Bewerber man einstellen sollte, weil sie die größten Chancen auf späteren Erfolg im Job haben. Es geht weiter über Entscheidungen, welche Personen in einem Team am besten zusammenarbeiten können oder welche am meisten voneinander lernen können. Bis hin zur Vorhersage, welche Mitarbeiter wahrscheinlich kündigen und ob unter ihnen Schlüsselpersonen oder High Performer sind. All diese Probleme kann man auch ohne Tools lösen, das ist aber nicht immer intelligent.

«Smart HRM» meint aber auch raffiniert, gerissen und scharfsinnig. Das erinnert daran, dass beim Einsatz von Tools immer Interessen eine Rolle spielen. Deshalb ist bei der Lösung komplexer Probleme immer auch Kreativität, Empathie, Mut und auch Chuzpe gefragt – alles Merkmale, die Tools oder Maschinen bisher nicht verwirklichen können. Deshalb lobe ich Tools nicht pauschal in den Himmel, aber ich verurteile die Tools auch nicht.

Welche digitalen Tools für die Personalarbeit und fürs Recruiting sind Deiner Meinung nach die wirklich innovativen Lösungen?

Um von einer innovativen Lösung zu sprechen, sollte diese neu und nützlich sein, also einigermaßen gut funktionieren. Dazu zählen vor allem text- und sprachbasierte Analyse- und Automatisierungstools, angefangen bei Sentiment-Analysen des Arbeitgeberimages oder Recruitingprozesses, über Chatbots für den Erstkontakt mit Kandidaten oder bei der Trainingsauswahl bis hin zu textbasierten Skill-Suchen für den Personaleinsatz. Das ist nicht ganz neu, aber nützlich, wobei sich der tatsächliche Nutzen erst in der konkreten Anwendung vor Ort zeigt. Aber es sieht so aus, als würde „Conversational HR“ mehr und mehr in der Praxis ankommen.

Weniger sexy, aber recht nützlich sind digitale Tools aus dem Bereich Robotic Process Automation. Damit können nicht nur Kosten eingespart werden, sondern auch die Qualität des Prozesses erhöhen, weil er schneller und fehlerfrei durchgeführt werden kann. Klassische RPA-Anwendungsfälle sind so etwas wie Emails automatisch versenden, Personaldaten aus dem Recruiting-System ins HR-Stammsystem übernehmen oder Reports erstellen und verteilen. Nicht zu vergessen sind natürlich Anwendungen zur Optimierung des Job Advertisings – da habt ihr ja mehr Insights als ich.

Müssen Personaler mehr IT und Statistik-Kenntnisse aufbauen, braucht es gar eine neue Art von Personaler?

Diejenigen Personaler, die sich als innovativ und zukunftsgestaltend positionieren möchte, kommen wohl nicht um den Aufbau solcher Kompetenzen herum. Schließlich ist der Einsatz digitaler Tools mittlerweile keine Frage mehr des „Ob“, sondern des „Wo“ und „Wie“. Aber deswegen müssen nicht alle Personaler zu Data Scientists werden. Einerseits, weil es dafür eben Spezialisten geben wird. Andererseits, weil digitale Tools den „human touch“ der Personalarbeit nicht ersetzen oder überflüssig machen werden. Es wird nur in Zukunft anteilig weniger People-People in der Personalabteilung geben und die Data- & Technology-People werden mehr werden.

Wo haben digitale Tools in der Personalarbeit ihre Grenzen? Was sollten eher Maschinen und was eher Menschen übernehmen?

Immer dann, wenn sich Situationen sehr oft und entscheidend ändern, wenn bei der Problemlösung Kreativität, Empathie, Fingerspitzengefühl, Mut und Macht gefragt sind oder wenn wichtige Werte wie Selbstbestimmung oder gar Leib und Leben auf dem Spiel stehen. Das wären dann weniger technisch-sachliche und viel mehr rechtlich-ethische Grenzen. Nicht alles, was technisch möglich und ökonomisch erwünscht ist, sollte und darf auch umgesetzt werden.

Über diese allgemeinen Punkte hinaus, habe ich immer wieder eines festgestellt: Pauschalaussagen über die Sinnhaftigkeit von digitalen Tools in der Personalarbeit sind sinnlos. Es macht nun mal einen großen Unterschied, ob man Empfehlungsalgorithmen dazu einsetzt, Mitarbeitern passende Lerninhalte vorzuschlagen oder Bewerber zur Einstellung zu empfehlen. Es führt also kein Weg daran vorbei, sich eingehend mit den konkreten Tools für das eigene Problem zu befassen. Die werden auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein, sodass es immer um eine Abwägung geht: Wer bietet mehr Vor- als Nachteile: Mensch oder Maschine oder eine Kombination aus beiden?

Datensammlungen, Algorithmen, automatisierte Entscheidungssysteme und dergleichen erzeugen oft Widerstände und Ängste. Wie kann HR solche Ängste aus dem Weg räumen?

Angst entsteht ja, weil man sich durch etwas Unbekanntes eingeengt oder bedroht fühlt. Gerade bei den Begriffen Algorithmic Decision Making oder KI und Machine Learning ist oft nicht klar, was damit gemeint ist. Wenn man aber darüber aufklärt und auch sagt, was man mit den entsprechenden Tools machen kann und was nicht, dann lässt sich das Unbekannte besser begreifen und wenn man etwas um Griff hat, schwindet auch die Angst davor.

Allerdings sind Aufklärung und Weiterbildung nur zwei Bausteine, denn nur zu Verstehen genügt nicht, wenn es gegen die eigenen Interessen, Werte oder Ziele geht. Oder wenn der Widerstand sachlich begründet ist, weil die Daten, die man eigentlich bräuchte, nicht vorliegen, oder die Tools für das jeweilige Unternehmen zu teuer oder zu wenig nützlich sind. Die Aufgabe von HR ist dann nicht, die Widerstände aus dem Weg zu räumen, sondern die Grenzen der einzelnen Verfahren und Tools vorher klar benennen zu können. Deswegen habe ich in Smart HRM ja auch in jedem Kapitel diese Grenzen erläutert.

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New Work Experience 2018 – Zwischen KI und Glücksministern

Gestern fand die New Work Experience 2018 in unserer schönen Hansestadt statt, ein Event, bei dem sich alles um Themen der Zukunft der Arbeit dreht – und die rasende Wollmilchsau-Reporterin Eva hat sich für Euch umgeschaut. Die erste Hälfte der Veranstaltung führte in den Großen Saal der fabelhaften Elbphilharmonie, in dem die Teilnehmer der Konferenz profilierten Sprechern wie Götz W. Werner, Prof. Richard David Precht oder Janina Kugel von Siemens lauschen durften. Musik gab es natürlich auch, zum Beispiel von der zauberhaften Violinistin Ji-Hae Park. Das Nachmittagsprogramm verschlug die Teilnehmer dann in verschiedenen Locations in der Hafencity und wartete mit unzähligen Vorträgen, Sessions und Workshops auf.

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New Work, das ist bekanntlich ein Konzept, bei dem unter besonderer Beachtung der Digitalisierung Alternativen zum heute geltenden Arbeitsmodell gesucht werden. New Work, so der bleibende Eindruck nach vielen Key Notes, wirft eher Fragen auf, als dass es die Antworten schon parat hat. Und diese Fragen sind – so leid es mir tut – größtenteils von einer (arbeits-)philosophischen Natur:

  • Was ist Arbeit?
  • Was ist der Wert von Arbeit?
  • Wo ist der Platz des Menschen in einer künftig automatisierten Welt?

Solche und ähnliche Fragen scheinen angesichts der Veränderungen der Arbeitswelt angemessen. Wer sich mit New Work beschäftigt, braucht einen langen Atem, denn von jetzt auf gleich wird keine der Visionen, Utopien, Konzepte oder Technologien umgesetzt werden können. Wer daraus nun folgert, dass es sich deshalb nicht lohne, sich mit derartigem zu beschäftigen, der wäre wohl bei einem Event wie gestern von der höchsten Balustrade der Elbphilharmonie geworfen worden.

Thomas Sattelberger New Work Experience 2018 Vortrag
Thomas Sattelberger (MdB) bei seinem Vortrag “Ohne Rebellen ist alles nix” am Vormittag im Großen Saal der Elbphilharmonie

Wiederkehrende Themen von New Work: Bedingungsloses Grundeinkommen

Ein Thema, an dem gestern wirklich niemand vorbeikommen konnte, war das Konzept des Bedingungslosen Grundeinkommens. Sprecher wie Precht, Werner oder der Historiker Rutger Bregmann kommen immer wieder darauf zurück. In einer Zukunft, so ihr Credo, in der ein Großteil der Arbeit automatisiert werden kann und Menschen nur noch in Empathie-betonten Berufen gebraucht werden (wenn überhaupt – je nachdem, wem man gerade zuhört), verliert der Mensch mit seiner Arbeit einen Teil seiner Identität, aber gewinnt dafür auch viel: die Freiheit, Dinge zu tun, die er wirklich und wahrhaftig möchte. Gern wird hier auf die antike Zelebrierung der Muße verwiesen, die etwa von den alten Griechen gepflegt wurde.

Hier bewegen sich viele Sprecher in einem Spannungsfeld, das eine Abkehr vom “herkömmlichen” Kapitalismus in Aussicht stellt. Arbeit, wie sie von der protestantische Ethik hochgehalten wird, würde ihren übergeordneten Wert einbüßen und so zulassen, dass die Menschen sich freiwillig geistiger Arbeit zu wenden – die Aussicht auf fabelhafte Ideen, Gründergeist, schöpferische Kraft, Einkehr und Selbstbestimmung locken. Das Konzept des Bedingungsloses Grundeinkommen wird heiß diskutiert, von manchen als Erlösung des Menschen von der “Geißel” des derzeitigen Arbeitsmodells imaginiert, von anderen als potentieller Untergang der Welt betrachtet, da dann “ja niemand mehr arbeiten wollen würde”. Darüber hinaus stellen sich natürlich auch praktische Fragen, wie die nach der Finanzierung. Prof. Richard David Precht schlägt dazu zum Beispiel die Besteuerung von Finanztransaktionen vor.

Arbeitszeit – Freizeit – Lebenszeit

Weitestgehend einig ist man sich auch dahingehend, dass die klassische 40-Stunden-Woche ausgedient hat. Überhaupt sind Begriffe wie “Arbeitszeit” und “Freizeit” für Sprecher wie Götz W. Werner irreführend, denn beide umfassen ihm nach ja schließlich die “Lebenszeit” der Menschen. Bei der Vorstellung neuer Ergebnisse aus der IZA/Xing-Studie “Arbeiten in Deutschland” wird die Frage aufgeworfen, was “Arbeit” überhaupt ist – denn das wird im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) nicht näher definiert. Die bisher übliche Interpretation der Präsenzkultur am Arbeitsplatz, bei der die Zeit, die der Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatz verbringt (unabhängig davon, was er in dieser tut), als Indikator für die “Messbarkeit von Arbeit” gewertet wird, verliert im Zuge der Digitalisierung immer mehr an Relevanz. 

Das hat mit der wachsenden Mobilität vieler Tätigkeiten, die als Arbeit gelten, zu tun. Flexible Modelle wie Home-Office oder von unterwegs Arbeiten spielen hier ebenso eine Rolle, wie das Empfinden der Arbeitnehmer, dass sie Arbeitstätigkeiten zunehmend in ihrer eigentlichen Freizeit verrichten:

New_Work_-_Grenzen_zwischen_Arbeitszeit_und_Freizeit_verschwimmen
Quelle: IZA/Xing-Studie – Arbeiten in Deutschland

Demnach braucht es in der Zukunft neue Ansätze um “Arbeit” messbar zu machen – wenn überhaupt.

Herausforderungen und Risiken moderner Technologien

Bei all den Blicken, die in die Zukunft geworfen werden, werden auch die Risiken und Herausforderungen moderner Technologien nicht (völlig) ausgeblendet. Künstliche Intelligenzen (KIs), ein weiteres großes Thema des Events, könnten schon in wenigen Jahren so weit entwickelt worden sein, dass sie der Denkleistung von Menschen entsprechen – und sie alsbald übertreffen. Das glaubt zumindest der “Vater der modernen Künstlichen Intelligenz” Prof. Jürgen Schmidhuber, dessen lernende neuronalen Netze bereits heute in Form von Übersetzungssoftware oder Spracherkennung in unseren Smartphones stecken. Auf die Frage, ob er nicht manchmal auch Angst vor seinen Erfindungen habe, zögert er mit einer Antwort. Dann folgt zur Erheiterung des Publikums ein lapidares “Nein, denn das wird alles ganz toll” – und sonst nichts. Andere Speaker, wie Dr. Ha Vinh Tho, der Leiter des Zentrum für Bruttonationalglück in Buthan, oder Vorstandsmitglied Janina Kugel von Siemens sehen das anders. Sie vertrauen auf den menschlichen Faktor, der nicht, auch nicht in einer Welt der KIs, obsolet werden wird.

Die Digitalisierung bietet Chancen, so denken wohl die meisten der Teilnehmer der New Work Experience 2018, doch dass wo Licht ist, auch Schatten sein muss, wissen sie auch. Ständige Erreichbarkeit, verschwimmende Grenzen zwischen Arbeit- und Privatleben, als exzessiv geltende Extrem-Nutzung Sozialer Netzwerke oder Smartphones, das alles sind die Schreckgespenster, die am Rockzipfel der Digitalisierung hängen und die durchaus zu ernst zunehmenden Problemen führen können. “Dieses Internet” abschalten und ins analoge Zeitalter zurückkehren wird man trotzdem nicht. Umso wichtiger, dass sich auch hinsichtlich solcher Entwicklungen Gedanken gemacht werden, die nicht nur den Menschen als Privatperson treffen, sondern auch als Arbeitnehmer.

Große Utopien: Nothing is more powerful than an idea whose time has come”

Mit diesem Zitat von Victor Hugo beendete Rutger Bregmann gestern seinen Vortrag “Utopias for Realists”. Er plädiert dafür, dass wieder mehr geträumt wird und dass unerreichbar scheinende Utopien wieder Platz in den Köpfen der Menschen finden. Damit benennt er den Wunsch nach einem großem Paradigmenwechsel des New Work Konzepts. Ideen können zu Prozessen werden und diese schließlich zu Fortschritt.

Wie der Glücksminister von Buthan Dr. Ha Vinh Tho (der natürlich nicht offiziell “Glücksminister” heißt, aber es passt einfach zu gut), träumt auch der Historiker Bregmann von eine bessere Zukunft für die Menschheit und erinnert daran, dass dies, historisch betrachtet, gar nicht so abwegig ist. Denn noch nie in der Geschichte des Menschens, so Bregmann, ging es großen Teilen der Menschheit so gut wie heute, gab es so wenig Krankheit, weniger kriegerische Auseinandersetzungen oder weniger Armut. Dass uns solche Aussagen angesichts der ungelösten Probleme unserer Zeit, wie der Zerstörung unseres Planeten, der ungerechten Verteilung von Gütern, politischen und religiösen Konflikten und so vielem mehr seltsam vorkommen, sei verständlich. Trotzdem könne viel erreicht werden, wenn etwa das Menschenbild verändert würde und es große neue utopische Ideen für das 21. Jahrhundert gäbe. Zu seinen “radikalen” Ideen zählen dann zum Beispiel das Bedingunglose Grundeinkommen, die 15-Stunden-Woche und offene Grenzen.

Dr. Da Vinh Tho, der Leiter des Zentrum für Bruttonationalglück in Buthan, würde ihm sicher in einigen Punkten zustimmen. Das Zentrum für Bruttonationalglück ist eine Art Gegenentwurf zur üblichen Art, den Wohlstand einer Nation im Bruttoinlandsprodukt zu messen. Die Idee des Bruttonationalglücks beruht darauf, dass ein “allein auf das Wachstum des Geldes angelegtes Maß” unzureichend sei, “um den Wohlstand einer Gesellschaft zu messen”. In seinem Vortrag spricht er viel von den Entfremdungen, denen der Mensch in der heutigen (kapitalistischen) Gesellschaft trotzen müsse, wie etwa:

  1. der Entfremdung zwischen Menschen und der Natur, die die Umweltzerstörung zur Folge habe.
  2. der Entfremdung zwischen Menschen und Mitmenschen.
  3. der Entfremdung des Menschen von sich selbst.

Ob er einen Masterplan oder eine Bedienungsanleitung für Glück und Wohlbefinden hat? Nein. Das gesellschaftliche Glück kann trotzdem gefördert werden, und zwar besonders von Unternehmen, da sie eine der stärksten Kräfte in der heutigen Welt sind. In Bewegung setzen könnte man so vieles, Umweltschutz, nachhaltiges und gerechteres Wirtschaften, freies kulturelles Leben und ähnliches. Ob diese buddhistisch beeinflussten Werte in der Welt des Kapitalismus funktionieren können? Einzelkämpfer, wie das thailändische Unternehmen B. Grimm, machen es vor.

Für Träumer, Rebellen, Vordenker

Nach vielen Stunden inspirierender und manchmal stark philosophisch-gefärbter Vorträge fühlt man sich zugleich aufgelegt zu neuen Taten und auch etwas erschlagen. New Work, das steht nicht nur für flexible Arbeitszeiten und hyper-modern eingerichtete Büros. Eigentlich, wenn man das so sagen darf, will New Work nichts geringeres, als die Welt verändern. Klingt nach Wolkenschlössern, klingt, als ob am liebsten jemand im Hintergrund “Das Leben ist doch kein Wunschkonzert” rufen möchte, klingt so, als ob man die Augen rollen möchte und zurück kehren will zu seiner einfachen, zynischen Weltanschauung. Kann man ja auch. Vielleicht aber bleiben die Ideen, die Visionen, die Verheißungen von New Work aber auch irgendwo im Hinterkopf hängen. Und vielleicht darf dann auch wieder ein bisschen mehr geträumt werden.

Der Besuch der New Work Experience 2018, so die bescheidende persönliche Meinung der Verfasserin, hat sich gelohnt. Zwar geht man am nächsten Tag nicht mit einem hübsch-praktischen 10-Punkte-Aktionsplan zurück zur Arbeit, aber wenn es denn wirklich so einfach wäre, bräuchten wir das Konzept wohl auch nicht. Im Büroalltag (oder vielleicht im Home-Office-Alltag) bietet sich nicht oft der Raum, über die Zukunft der Arbeit, die zahllosen Folgen der Digitalisierung oder den Wert der Arbeit angesichts einer möglichen Roboter-Zukunft nachzusinnen. Wachsamkeit und Offenheit aber, das sind Empfindungen, mit denen man die Hafencity vielleicht verlassen hat. Und diese sind immerhin ein guter Anfang.