Der Gartner Hype Cycle 2011

Gartner kam gestern mit dem Hype Cycle für 2011 um die Ecke. Wie immer bietet er in erster Linie einen schönen Überblick über die Technologien, mit denen wir es heute und in näherer Zukunft vielleicht zu tun haben werden. Die Funktions- bzw. Leseweise haben wurde bereits letztes Jahr ausführlicher erklärt und an dieser Stelle übergangen.

Dieses Jahr drängen sich besonders viele Technologien auf dem Peak of Inflated Expectations. Auch wenn sich im letzten Jahr (gefühlt) nicht allzu viel geändert hat, so überkommt mich bei einem Blick auf die diskutierten Technologien doch ein wohliges Gefühl von Science-Fiction. Besonders spannend finde ich die Fortschritte in der Mensch-Maschine-Interaktion. Auch wenn diese Visionen noch alle in relativ früher Entwicklungsphase sind, so sind es 2011 schon viele unterschiedliche Ansätze.

Die Gesture Recognition haben wir in Form von Wii, Kinect und Playstation Move schon heute in den Wohnzimmern stehen, bis zum Computer Brain Interface wird es wohl noch etwas dauern. Recht still wurde es um die ganzen Online-Technologien. Die Cloud ist im (verdienten) Tal der Desillusionen, alles was mit Mobile und Location-Based Services zu tun hat endlich auf der Arbeitsebene angekommen. Warum Social Media Recruiting Analytics und die Activity-Streams mit einer prognostizierten Reifezeit von 2-5 Jahren noch immer auf bzw. vor dem Gipfel der überzogenen Erwartungen hängen, ist mir allerdings nicht so ganz klar. Letztere hätte ich spätestens dieses Jahr auf den Slope of Enlightment gesetzt.

Pic: Jim Linwood (CC BY 2.0)

Heiße Luft hier, Substanz dort: Hype Cycle Emerging Technologies 2010

Vor ein paar Tagen hatten wir schon darüber berichtet, was Gartner für die Arbeitswelt 2020 vorhersagt, heute gibt es nochmal einen kleinen Nachschlag aus dem Mafo-Institut in Conneticut: den Hype Cycle Emerging Technologies 2010. Wie auch in den vergangenen Jahren legt Gartner die aktuellen technischen Entwicklungen auf seinen Hype-Cycle und schätzt ab, in welcher Phase sich die Innovationen momentan befinden.

Der Hype-Cycle

  • Die erste Phase ist der technologische Auslöser (Technological Trigger). Ein technischer Durchbruch regt die Phantasie an und versetzt die Experten in erstes Staunen. Hier titelt die Fachpresse meistens etwas wie: “Science Fiction wird Realität”. Diese Phase dauert nicht lange an und geht schnell über in die…
  • …zweite Phase – der Gipfel der überzogenen Erwartungen (Peak of Inflated Expectations) – oder zu neudeutsch: Hype. Phantasie läuft auf Hochtouren und löst sich nach und nach von der technischen Realität. Die Zukunft wird in den schillerndsten Farben gezeichnet. Umso tiefer wird dann der Fall in…
  • …das Tal der Desillusionierung (Trough of Disillusionment). Die Technik kommt nicht an die Erwartungen der Visionäre heran, oder die Entwicklungen werden von den Menschen nicht so begeistert aufgenommen wie erwartet.
  • Nun hat man die Möglichkeit, Projekte (verfrüht?) fallen zu lassen, oder man beginnt den langen Hang der Erleuchtung (Slope of Enlightenment) zu erklimmen. Die Entwicklung wird auf das Wesentliche herunter gebrochen und auf der Arbeitsebene betrachetet.
  • So erreicht man dann im Idealfall die Ebene der Produktivität (Plateau of Productivity), wo sich Erwartungen und Realität dann die Waage halten, was dann irgendwann in der Mainstream Adoption endet.

Die ansehbare Dauer divergiert bei den einzelnen Technologien, diese sind also dementsprechend mit unterschiedlichen Symbolen dargestellt.

Gartner Hype Cycle: Technologies 2010

Die eine oder andere Platzierung ist dann doch überraschend anders, als die eigene Wahrnehmung. Cloud Computing und Cloud/Web-Platforms sehe ich schon eher im Mainstream angekommen, als kurz vor dem Absturz in die Enttäuschung. Aber vielleicht muss die Einschätzung auch hier und da nur zurecht gerückt werden. Dass das Media Tablet erst auf dem Weg zum Hype sein soll, hat mich zuerst auch ein wenig erschreckt: Was soll uns da noch alles an Buzz erwarten?! Aber andererseits: Apple ist mit dem iPad bis jetzt marktbeherrschend, die anderen Alternativen stehen noch nicht mal wirklich in den Startlöchern. Vermutlich liegt Gartner mit der Einschätzung sehr richtig. Manch einer hatte den Smartphone-Hype mit dem iPhone auch schon hinter sich gesehen, das Plateau of Productivity wurde dann aber erst kürzlich mit den leistungsstarken Android-Geräten und den kleinen Brüdern für den Massenmarkt erreicht.

Pic: Albert Robida (public domain – US)

10 Punkte zur Arbeitswelt in 10 Jahren – Gartners Ideen, unsere Meinung

Gartner hat zehn grundsätzliche Veränderungen in der Arbeitswelt beschrieben, die uns in den nächsten zehn Jahren erwarten würden. Teilweise sind die Aussichten durchaus realistisch oder bereits heute Realität. Zum anderen Teil sind die Aussagen jedoch allenfalls “denkbar”. Es entsteht ein wenig der Eindruck, Gartner sei bei seiner Analyse von einer sehr klar definierten Unternehmensstruktur ausgegangen – zwar mit dem Wandel der Zeiten gehend, aber in sich und ihren Autoritäten gefestigt. Die Tatsache, dass sich derartige Strukturen selbst immer weiter auflösen, wird nicht ausreichend beachtet. Es entstehen überall neue Produktivitätszellen, die sich ganz bewusst jenen Problemen verweigern. Diese haben bei der Entwicklung der Arbeitswelt bis zum Jahr 2020 ein entscheidendes Wörtchen mitzureden.

Gedanken zu Gartners Punkten hat man bereits bei den Netzpiloten und bei Banedon’s Cyber Junk lesen können. Natürlich möchten auch wir mit unserer Meinung nicht hinter dem Berg halten. Dabei haben alle Punkte in sich ihre Berechtigung, auch wenn jeder noch einen (ergänzenden) Kommentar unsererseits verdient.

1. De-routinization of Work

“The core value that people add is not in the processes that can be automated, but in non-routine processes, uniquely human, analytical or interactive contributions that result in words such as discovery, innovation, teaming, leading, selling and learning. (…)”

Richtig. Routine ist aber immer auch ein Gewinn aus der Beherrschung einer Materie: die Leistung, dass Problem X grundsätzlich und mit gleichem Erfolg mit Lösung X begegnen werden kann. Was Routine ist, kann meist auch automatisiert werden – sofern sich ein entsprechendes Schema definieren und als Algorithmus nachbilden lässt. Doch mit dem Übergang einiger Prozesse in die Automatisierung werden auch immer wieder neue Herausforderungen aufkommen, die Routine erfordern. Arbeit wird also weniger de-routinisiert, vielmehr werden alte Routine-Tätigkeiten durch neue ersetzt.

2. Work Swarms

“(…) Teams have historically consisted of people who have worked together before and who know each other reasonably well, often working in the same organization and for the same manager. Swarms form quickly, attacking a problem or opportunity and then quickly dissipating. (…)”

Das Arbeiten in spontanen Schwärmen hat mit dem Arbeiten im festen Team einen entscheidenden Vorteil gemein: Sie profitieren von der Diversity. Unterschiedliche Menschen haben unterschiedliche Fähigkeiten und Talente. Feste Teams haben aber gelernt, diese Ressource gewinnbringend einzusetzen. Der Vorteil von Schwärmen soll in minimiertem Koordinationsaufwand liegen – einen Prozess den gute, feste Teams idealerweise längst überwunden haben.

3. Weak Links

“In swarms, if individuals know each other at all, it may be just barely, via weak links. (…)”

Punkt 3 geht Hand in Hand mit der Arbeit im Schwarm. Die Quantität der beruflichen Verbindungen wird sicherlich zunehmen, aber ich sehe darin eher ein vorübergehendes “Verwaltungsproblem”. Zumindest kein Grund, weshalb die Qualität einzelner Beziehungen abnehmen sollte. Prozentual wird der Anteil an “strong Links” möglicherweise abnehmen, in der Intensität der “echten” Bindungen sehe ich deswegen keinen Unterschied.

4. Working With the Collective

“There are informal groups of people, outside the direct control of the organization, who can impact the success or failure of the organization. These informal groups are bound together by a common interest, a fad or a historical accident (…)”

Entscheidungen oder maßgebliche Ideen kommen immer seltener aus den internen Meetings. Immer mehr werden sie außerhalb, in einem firmenüberspannenden Netzwerk (von Gartner “Kollektiv ” genannt) getroffen. Nicht nur eine Folge immer offener werdender Unternehmensstrukturen, sondern auch Resultat der globalen Vernetzung von Interessengruppen und eines offenen Austausches zu Fachthemen. Schon heute.

5. Work Sketch-Ups

“Most non-routine processes will also be highly informal. It is very important that organizations try to capture the criteria used in making decisions but, at least for now, Gartner does not expect most non-routine processes to follow meaningful standard patterns. (…)”

Die oben beschriebene Auflösung der Routine stellt Unternehmen vor die Herausforderung, Prozessmodelle für den Ablauf dieser Arbeiten zu finden. Sofern dies tatsächlich nötig sein sollte, besteht die Kunst darin, nicht durch stereotype Handlungsweisungen neue Routinen aufzubauen, die wiederum der “Pattern Sensitivity” (Punkt 8.) im Weg stünden.

6. Spontaneous Work

“(…) Spontaneity implies more than reactive activity, for example, to the emergence of new patterns. It also contains proactive work such as seeking out new opportunities and creating new designs and models.”

Das wäre wünschenswert! Hier sind jedoch nicht nur Unternehmer gefordert, die alten Strukturen aufzubrechen. Auch die Mitarbeiter müssen sich bereit zeigen, diese Möglichkeiten zur Eigeninitiative aufzugreifen und umzusetzen. Hier ist Lernbedarf auf beiden Seiten.

7. Simulation and Experimentation

“(…) This suggests the use of n-dimensional virtual representations of all different sorts of data. (…)”

Auch das ist eine schöne Vorstellung. Im Ansatz haben wir diese Datenverfügbarkeit schon heute, auch wenn die Visualisierung im “n-Dimensionalen” noch in unserer Phantasie geschehen muss. 😉 Aber Augmented Realitiy schafft schon heute beeindruckende Fakten, wenn es darum geht, unterschiedliche Daten in Layern übereinander zu legen und miteinander zu verknüpfen.

8. Pattern Sensitivity

“(…) The business world is becoming more volatile, affording people working off of linear models based on past performance far less visibility into the future than ever before. (…)”

Dass Menschen passende Entwurfsmuster auf Probleme anwenden können, wird auch in Zukunft weiter von großer Bedeutung sein. Insbesondere als Resultat der beschriebenen De-Routinisierung und Voraussetzung zur unabhängigen Entscheidungsfindung (siehe auch Punkt 4.).

9. Hyperconnected

“Hyperconnectedness is a property of most organizations, existing within networks of networks, unable to completely control any of them. (…)”

Warum die umfassende digitale Verbindung zueinander gleich das Präfix “Hyper” verdient, ist mit nicht ganz klar. Aus der Sicht des Jahres 2000 auf 2010 wäre das noch nachvollziehbar gewesen, in Bezug von heute auf 2020 nicht mehr. Die volle Vernetzung ist schon längst Realität. Die Strukturen werden sich noch weiter verbessern, vermutlich in Richtung einer noch größeren Universalität.

10. My Place

“(…) Many will have neither a company-provided physical office nor a desk, and their work will increasingly happen 24 hours a day, seven days a week. In this work environment, the lines between personal, professional, social and family matters, along with organization subjects, will disappear. (…)”

Die Grenzen zwischen Berufsleben und Privatleben werden verschwimmen. Damit dies vor allen Dingen zum Vorteil des Arbeitnehmers geschieht, und es nicht, wie von Gartner prophezeit, zu einer völligen Verschmelzung kommt, gilt es, früh genug Regeln für den Respekt vor den Freunden, der Familie und nicht zuletzt dem Körper und der Gesundheit aufzubauen. Dieses Bewusstsein müssen nicht nur die Arbeitgeber entwickeln, auch die Arbeitnehmer müssen diesen Respekt vor ihrem Privatleben lernen und durchsetzen.

Pic: Online Photography School