Fachkräftemangel: Wie deutsche Führungskräfte die Lage beurteilen

Er ist in unserer Branche in aller Munde – der Fachkräftemangel. Die Ansichten über ihn könnten jedoch nicht verschiedener sein. Ob Mücke, Elefant oder Mythos – eingebildet sind die Veränderungen auf dem heimischen Arbeitsmarkt jedenfalls nicht. Dafür spricht auch eine neue Studie.

Aus dem Hause Hays, in Zusammenarbeit mit bekannten Experten der HR-Branche und mithilfe der Daten der Bundesagentur für Arbeit, dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dem KOFA (Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung) und der Befragung von über 1.000 Führungskräften erreicht uns die Studie, die zeigen soll, wie Führungskräfte hierzulande auf den Fachkräftemangel blicken und auf ihn reagieren.

Auf eine endgültige Antwort auf die Frage, ob es ihn denn nun gebe, diesen Fachkräftemangel, möchten sich die Studienmacher nicht festlegen. Die Datenlage jedoch, die in unserer Arbeitsmarkt-Studie 2019 nachzulesen ist und derer sich auch die Hays-Studie bedient, spricht für sich: die Vakanzzeiten steigen, mehr Ausbildungsplätze bleiben unbesetzt, Rekorde bei niedriger Arbeitslosenquote und gemeldeten offenen Stellen sind festzustellen. Regionale und branchenspezifische Engpässe zeichnen sich ab. Hinzu kommen äußere Faktoren wie der demografische Wandel, die Herausforderungen (und die Chancen) der Digitalisierung und einiges mehr.

Zu den Key-Findings der Studie gehören folgende Thematiken, die wir uns für Euch noch näher anschauen wollen:

  • “Fachkräftemangel ja, aber nicht überall”
  • “Unternehmen nehmen sich zu wenig in die Pflicht”
  • “Unternehmen müssen als Arbeitgeber deutlich attraktiver werden”
  • “Rekrutierung neu aufsetzen”

Darüber hinaus gibt es weitere Ergebnisse, etwa in Bezug auf Automatisierung im Recruiting, tradierte Methoden der Weiterbildung oder die Anwendung flexibler Beschäftigungsformen, über die wir heute nicht berichten.

Fachkräftemangel: Wahrnehmungen und Erfahrungen

Die folgende Grafik zeigt die teils widersprüchlichen Einschätzungen und Erfahrungen, die die befragten Führungskräfte in Bezug auf einen möglichen Fachkräftemangel angegeben haben:

Fachkräftemangel: Wahrnehmung und Realität bei Führungskräften
Quelle: Hays – Fachkräftemangel in Deutschland: unterschätzt oder aufgebauscht? Wie deutsche Führungskräfte auf den Fachkräftemangel blicken und wie sie ihn angehen

Der Großteil der Befragten nimmt den Fachkräftemangel als eine kritische Herausforderung für die Wirtschaft wahr, die sich in den eigenen Erfahrungen widerspiegelt – insbesondere als Problematik bei der Mitarbeitergewinnung und -bindung. Paradox: der Fachkräftemangel wird tendenziell als ein externes Problem eingestuft, das andere Unternehmen, andere Standorte und andere Branchen stärker betrifft, als den eigenen Bereich.

Das deutet auf der einen Seite darauf hin, dass das Thema medial “aufgebauscht” wird, andererseits zeigt die Grafik, dass ein Großteil der Führungskräfte einen generellen (und teilweise starken) Einfluss der Entwicklungen am eigenen Leibe erfahren hat.

Fachkräftemangel in verschiedenen Branchen
Quelle: Hays – Fachkräftemangel in Deutschland: unterschätzt oder aufgebauscht? Wie deutsche Führungskräfte auf den Fachkräftemangel blicken und wie sie ihn angehen

Eine große Rolle spielt bei der Wahrnehmung erwartungsgemäß auch die betreffende Branche der Befragten. Besonders im Gesundheitswesen wird über die Mehrbelastung der Mitarbeiter geklagt (47%). Nur auf den ersten Blick überraschend sind im Gegensatz dazu die Ergebnisse aus der ITK-Branche: nur 26% sehen sich hier einer Mehrbelastung ausgesetzt (im Vergleich zum Durchschnittswert von 36%) und auch bei den möglichen Umsatzeinbußen ist man hier weniger besorgt. Gleichzeitig sind in dieser Branche die Vakanzzeiten besonders hoch.

Diese scheinbaren Widersprüche werden in der Studie so erklärt: da die ITK-Branche schon länger mit den Auswirkungen des Fachkräftemangel zu kämpfen hat als andere Branchen, hat man sich früher und besser darauf eingestellt. Unternehmen der ITK-Branche sind laut den Studienergebnissen insgesamt besser für den Fachkräftemangel gerüstet.

Schuldabwälzung ist keine Lösung

Klar ist, dass der Fachkräftemangel keine singuläre Ursache hat und dementsprechend kaum mit einfachen Mitteln aus der Welt zu schaffen ist. Die Befragten nennen als Ursachen für den Fachkräftemangel so etwa den demografischen Wandel (53%), träge Bildungssysteme (50%), starre politische Regelungen (31%) oder die rasante technologische Entwicklung (40%). Mangelnde Flexibilität bei Unternehmen stellen nur 38% der Befragten fest.

Ganze 20% der Befragten gaben in Bezug auf den trägen Bildungssektor an, er trüge die größte Schuld an der derzeitigen Entwicklung. Von der Hand zu weisen ist es auch gewiss nicht, dass Digitalisierung und Globalisierung nur langsam Einzug in deutsche Schulen, Ausbildungsstätten und Universitäten halten – doch entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ein Großteil der Befragten sich nur ungern an die eigene Nase fassen möchte. Dabei wird wohl gern übersehen, wie zäh und langwierig die eigene Anpassung an das digitale Zeitalter abgelaufen ist und weiterhin noch abläuft.

Zwar liegen einige der Ursachen für den Fachkräftemangel außerhalb der Wirkungskreise der Unternehmen, doch eine mangelnde Bereitschaft, sich der Problematik anzunehmen und sich somit aus der (Eigen-)Verantwortungen zu stehlen, nützt natürlich niemandem. In der Studie wurden sieben Handlungsfelder identifiziert, die es Unternehmen ermöglichen, dem Fachkräftemangel entgegen zu treten.

Dazu zählen unter anderem: Rekrutierung und Nachwuchsförderung, Attraktivität als Arbeitgeber, Kompetenzentwicklung der Mitarbeiter und Automatisierung und Digitalisierung. Auf ausnahmslos allen Gebieten gab die Mehrzahl der Teilnehmer an, man sei bei den Praktiken entweder “verbesserungswürdig” oder sogar “mangelhaft” aufgestellt. Als “bestens gewappnet” glaubt sich knapp ein Drittel der Befragten, von denen die meisten aus der ITK-Branche stammen.

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Fachkräftemangel entgegenwirken: Attraktivität von Arbeitgebern und neu gedachtes Recruiting

Mit 54% verzeichnet der Aspekt der Arbeitgeberattraktivität den höchsten Handlungsbedarf. Hier ist man sich offenbar bewusst, dass es viel Nachholbedarf gibt – und sich die Ansprüche der Arbeitnehmer ändern. Luft nach oben ist dabei in vielen Bereichen:

Fachkräftemangel mit besserer Arbeitgeberattraktivität entgegenwirken. Tu was für Dein Image!
Quelle: Hays – Fachkräftemangel in Deutschland: unterschätzt oder aufgebauscht? Wie deutsche Führungskräfte auf den Fachkräftemangel blicken und wie sie ihn angehen

In Zeiten von Arbeitgeberbewertungsplattformen ist der Versuch, Mitarbeiter einzig mit hohen Gehältern zu locken und zu binden, überholt. Viele Studien haben gezeigt, dass gute Entwicklungsmöglichkeiten, die passende Unternehmenskultur, flexibles und eigenständiges Arbeiten und sinnstiftende Aufgaben fast ebenso wichtig sind.

Ohne ein zielgerichtetes Employer Branding, vielseitiges Personalmarketing und eine angemessene Fächerung der Recruiting-Kanäle dürfte es also schwierig werden, Kandidaten von der Attraktivität des eigenen Unternehmen zu überzeugen. Doch auch hier muss sich nach Einschätzung der Befragten noch einiges verbessern:

Maßnahmen für besseres Recruiting - Unabhängig werden von Arbeitsmarkt und Fachkräftemangel
Quelle: Hays – Fachkräftemangel in Deutschland: unterschätzt oder aufgebauscht? Wie deutsche Führungskräfte auf den Fachkräftemangel blicken und wie sie ihn angehen

Die Befragten sind sich einig: einfach so weiter machen wie bisher, das funktioniert nicht mehr. 45% identifizieren das Beschreiten neuer Wege/Kanäle beim Recruiting als vordringliche Maßnahme. Nichtssagende Stellenanzeigen, die ausschließliche Nutzung von laufzeitbasierten Anzeigemodellen, etwa auf Online-Stellenbörsen, und schlechte Jobtitel bringen heute oft nicht mehr die nötigen Ergebnisse.

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Aktiv werden gegen Fachkräftemangel

Was also folgt aus den Erkenntnissen der Studie? Zum einen hat sie gezeigt, dass Engpässe bei Fachkräften von vielen der befragten Führungskräfte erlebt werden – sei es durch eine Mehrbelastung der Mitarbeiter, steigende Vakanzzeiten oder vielseitige Probleme beim Recruiting.

Auch ist klar, dass die Gründe für die Entwicklung am Arbeitsmarkt vielfältig sind. Dennoch liegt es auch in der Hand der betroffenen Unternehmen, selbst aktiv zu werden. Wer auf die aktuelle Situation reagieren muss, kann sich ein Beispiel an der ITK-Branche nehmen. Programmatic-Job-Advertising-Anwendungen wie der Jobspreader können Euch dabei helfen, die ausgetretenen Pfade im Recruiting zu verlassen.

Wer noch nicht genug hat, findet die Studie, in der es auch noch um Themen wie Weiterbildung und flexible Arbeitsformen geht, hier zum Download.

Demografischer Wandel und Standortattraktivität in Deutschland

Angeregt durch ein Gespräch über Standortattraktivität als Wettbewerbsfaktor im Arbeitgebermarketing habe ich mir die Frage gestellt, wie Unternehmen im Kontext des demografischen Wandels strategischen Handlungsbedarf erkennen und konkret angehen können. Dabei kam mir die frisch aktualisierte Bevölkerungsvorausberechnung des “Wegweiser-Kommune”-Projekts gerade recht, in der die Bertelsmann Stiftung den demographischen Wandel bis 2030 für alle deutschen Kommunen mit mehr als 5000 Einwohnern analysiert hat.

Wie Ihr den demografischen Wandel Eurer Region analysiert

Im Folgenden zeige ich, wie Ihr die Folgen des demografischen Wandels für Eure Region und Euer Unternehmen analysiert. Da die Untersuchung die Stadt-Land-Lücke erneut bestätigt hat und der demografische Wandel Arbeitgeber abseits der Städte erfahrungsgemäß besonders hart trifft, nehme ich dabei zwei Landkreise als Beispiel. Dazu habe ich mir den Landkreis Ludwigslust-Parchim in Mecklenburg-Vorpommern und den Ortenaukreis in Baden-Württemberg herausgesucht. Beide Regionen können (wie viele andere) mit geografischen Vorzügen werben, wirtschaftlich dürfte die Ortenau im Vorteil sein.

Um zu sehen, wie der demografische Wandel an Eurem Standort ausfällt, gebt Ihr auf wegweiser-kommune.de Euren Landkreis oder Eure Stadt ein und wählt die gewünschte Statistik. Zur Wahl stehen Kommunale Daten, Bevölkerungsprognose, Wanderungsprofile, Demografietypen, Bevölkerungspyramide und Altersstrukturanalyse. Persönlich finde ich die Altersstrukturanalyse für die Beurteilung des Fachkräftesicherungsbedarfs am hilfreichsten und empfehle Euch die Analyse damit zu starten.

Für Ludwigslust-Parchim zeigt sie schon auf den ersten Blick mehr als deutlich, welche immensen Herausforderungen Recruiter in Mecklenburg-Vorpommern in den nächsten 15 Jahren (und darüber hinaus) stemmen müssen, um an Fachkräfte zu gelangen (und sie zu halten). Bis 2030 schrumpfen alle arbeitsmarktrelevanten Altersgruppen zwischen 19 und 65 Jahren zwischen 25 und 30 Prozent:

Altersstruktur-Ludwigslust-Parchim

Im Ortenaukreis sieht die Lage insgesamt etwas entspannter aus, allerdings schrumpft auch hier die Altersgruppe der 19-24jährigen um über 20 Prozent.

Altersstruktur-Ortenaukreis

Um zu sehen, ob der Trend schon eingesetzt hat und die Handlungsdringlichkeit einzuschätzen, empfehle ich Euch anschließend einen Blick auf die Wanderungsbewegung Eurer Region zu werfen. Für ein vollständiges Bild achtet darauf, dass Ihr dabei beide Geschlechter auswählt. Dabei seht Ihr in absoluten Zahlen für jeden einzelnen Altersjahrgang den Wanderungssaldo. Die Zahlen sind Mittelwerte der Jahre 2009-2012.

Auch wenn die Zahlen absolut vielleicht weniger bedrohlich erscheinen, zeichnet sich hier für Ludwigslust-Parchim kein gutes Bild:

Wanderungsprofile aus Parchim von Frauen und Männer

Der mecklenburgische Landkreis hat von 2009 bis 2012 über 1000 potenzielle Jung-Arbeitnehmer verloren. Der Vergleich zum Wanderungsprofil der Ortenau, die lediglich Verluste bei den 19-24jährigen verzeichnet hat, lässt zusammen mit den beiden Altersstruktur-Statistiken vermuten, dass es dem Ortenaukreis besser gelingt, den vermutlich ausbildungsbegründeten Abgang junger Menschen im Zeitverlauf auszugleichen.

Wanderungsprofile aus Ortenaukreis von Frauen und Männer

Wie Ihr die Standortattraktivität Eurer Region bewertet

Dankbarerweise seid Ihr bei der Bewertung Eurer Standortattraktivität im Vergleich zu anderen Regionen nicht auf statistische Kaffesatzleserei angewiesen, wie ich sie gerade von mir gegeben habe. Dazu nutzt Ihr den Zukunftsatlas 2013 des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos, der alle 402 Kreise und kreisfreien Städte Deutschlands im Standort-Wettbewerbt rankt. In Zusammenarbeit mit dem Handelsblatt ist daraus eine tolle interaktive App entstanden, in der sich einzelne Kreise und Städte miteinander vergleichen lassen.

Standortattraktivität von Ortenaukreis und Parchim

Glücklicherweise stützt das Ergebnis meine Kaffeesatzleserei, denn der Zukunftsatlas 2013 rankt den Ortenaukreis im Standortwettbewerb auf Platz 131 von 402, den Kreis Ludwigslust-Parchim dagegen leider nur auf Platz 379.

Und jetzt freue ich mich auf Euren Input! Wie steht Euer Standort im innerdeutschen Wettbewerb da? Wie geht Ihr im Recruiting mit Standortnachteilen um? Hilft der Aufbau einer Arbeitgebermarke Standortnachteile auszugleichen? Welche Maßnahmen kennt Ihr noch? In einem Folgeartikel werde ich einige Ansätze zur Fachkräftesicherung durch Standortmarketing zeigen, die in Deutschland schon angewandt werden und nehme dazu gerne Eure Anregungen auf.

Demografischer Wandel trotz(t) der Finanzkrise

Die augenblickliche Finanzkrise mag manche zu dem Trugschluss verleiten, der Arbeitsmarkt werde in den kommenden Monaten einen Wandel vom Nachfrage- zum Angebotsmarkt vollziehen, mit der Folge, dass die bis dato fehlenden Fachkräfte sich nun große Sorgen um ihre Stellen machen müssten.

Nun, es wäre vermessen zu leugnen, dass es für viele Unternehmen in den nächsten Monaten, und vielleicht sogar Jahren, durchaus ernst werden wird. Selbstverständlich wird sich das auch in ihrer Personalpolitik widerspiegeln. Doch sollte dieser möglichst eine langfristige Sicht zugrunde gelegt werden. Wer heute gezwungenermaßen entlassen muss, sollte sich gleichzeitig Gedanken darüber machen, wie in der nächsten Aufschwungsphase neue Mitarbeiter (zurück)gewonnen werden sollen. Was kann man heute schon tun, um sich die Lösung dieser Aufgabe in 6, 12 oder 24 Monaten zu erleichtern?! Denn unabhängig von der Finanzkrise spielt die demographische Entwicklung gegen uns. Wer nur das “heute” berücksichtigt, wird sich nach der Finanzkrise mit einem noch intensiveren Wettbewerb um die besten Köpfe konfrontiert sehen.

Um dem in den meisten öffentlichen Beiträgen einfach nur für sich selbst stehenden Begriff “demografischer Wandel” ein etwas deutlicheres Gesicht zu verleihen, posten wir an dieser Stelle das Ergebnis einer kleinen Zeitreihenanalyse über die Seite vom Statistschen Bundesamt.

Demografischer-Wandel

Danach ist davon auszugehen, dass bis 2015 bereits knapp 3 Millionen Arbeitskräfte in der für den Arbeitsmarkt besonders interessanten Gruppe der 30 – 50 jährigen fehlen werden. Bis 2020 wird diese Gruppe sogar um 4,5 Millionen schrumpfen.

Wie stark müssten die Folgen der Finanzkrise ausfallen, um diese Entwicklung auszugleichen?