Auftragsstau am Bau: Wenn Material und Fachkräfte fehlen

Firmen in der Baubranche haben so volle Auftragsbücher wie lange nicht mehr. Der Umsatz im Bauhauptgewerbe stieg im August 2021 um 8,5 Prozent gemessen am Vorjahresmonat, wie das Statistische Bundesamt nach vorläufigen Zahlen mitteilte – und das trotz des anhaltenden Materialmangels.

In der Baubranche erschweren gleich zwei Mängel gleichzeitig den Arbeitsalltag: der Material- sowie der Fachkräftemangel. Vor allem im Hochbau verschärft sich die Lage immer weiter. Laut Umfrage des ifo-Instituts im Oktober 2021 klagten 34 Prozent der Unternehmen über einen ausgeprägten Fachkräftemangel. Mehr als jedes dritte Unternehmen findet nicht genügend Personal, während die Nachfrage weiterhin steigt. Im Tiefbau haben die Auftragsbestände eine Reichweite von 3,8 Monaten – im Hochbau sind es sogar 5,2 Monate. So lange dauert es im Schnitt, bis neue Aufträge bearbeitet werden können. Doch woran liegt das?

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Überalterte Belegschaft und schrumpfende Bevölkerung

Der Fachkräftemangel im Baugewerbe hat vielerlei Gründe. Die Bauwirtschaft ist geprägt von körperlicher Betätigung und Arbeitnehmer:innen stehen nicht selten unter einer hohen Arbeitsbelastung. Daher kommt es nicht selten vor, dass Arbeitnehmer:innen ihren Job auf dem Bau nicht bis zum offiziellen Renteneintritt ausüben können und gesundheitsbedingt bereits früher ausscheiden.

Schaut man in die Daten des Statistischen Bundesamtes, erkennt man schnell, dass insgesamt der Teil der erwerbstätigen Beschäftigten ab 2025 stetig sinken wird. Während im Jahr 2021 noch 64 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen der erwerbsfähigen Bevölkerung angehören, besteht laut jetziger Prognose die Bevölkerung im Jahr 2060 nur noch aus 56 Prozent potenziell Erwerbstätigen.

Lebenserwartung und Altersstruktur Fachkräftemangel Bau

Im Jahr 2008 waren bereits mehr als 33 Prozent der Arbeitnehmer:innen und Selbstständigen im Baugewerbe mindestens 50 Jahre alt. Das bedeutet, dass seitdem fast eine Million Erwerbstätige durch jüngere Nachwuchskräfte ersetzt werden mussten. Doch auch das ist nicht so einfach.

Azubimangel und fehlender Nachwuchs

Nach Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung konnten Betriebe im vergangenen Jahr 30 Prozent ihrer Ausbildungsplätze für Betonbauer:innen, Bodenleger:innen und Gerüstbauer:innen nicht besetzen. Laut der IG Bau blieben in Hamburg dieses Jahr sogar 70 Prozent aller Hamburger Ausbildungsplätze auf dem Bau, die am 1. August 2021 starteten, zu diesem Stichtag noch unbesetzt.

Doch Nachwuchskräfte fehlen in fast allen Regionen – dabei ist die Bezahlung vergleichsweise gut. Im ersten Lehrjahr liegt die Vergütung bei 850 Euro, im vierten sogar bei 1.580 Euro pro Monat. Zum Vergleich: Frisör:innen bekommen im ersten Lehrjahr im Durchschnitt 524 Euro im Monat.

Das mangelnde Interesse an Jobs auf dem Bau erklärt Andre Grundmann, Regionalleiter der Gewerkschaft im Norden, vor allem mit den unattraktiven Arbeitsbedingungen. Die körperlich anstrengende Arbeit an der frischen Luft bei egal welchem Wetter wirkt auf viele junge Menschen abschreckend. Etwa die Hälfte der Fachkräfte verlassen binnen fünf Jahren nach der Ausbildung die Branche und wechseln in andere Berufe, so die IG Bau.

Doch laut der Gewerkschaft gibt es auch noch einen anderen Grund für mangelnde Bewerbungen und hohe Abbruchquoten: Die langen und unbezahlten Fahrtwege zur Baustelle. Durch tägliches Pendeln kann eine nicht unerheblich hohe Anzahl an unbezahlten Fahrtstunden auf Arbeitnehmer:innen zukommen. Im Schnitt kommen auf jeden Mitarbeitenden etwa 400 unbezahlte Stunden pro Jahr. Die Gewerkschaft spricht sich dafür aus, Wegezeit zusätzlich zur Arbeitszeit dazuzurechnen, um die Arbeitsbedingungen attraktiver zu machen und noch mehr (jüngere) Bewerber:innen anzusprechen.

Zu wenig Frauen im Baugewerbe

Die Hagedorn Unternehmensgruppe hat sich ebenfalls hohe Ziele gesteckt. Der Fullservice-Dienstleister mit Sitz in Gütersloh hat den Schwerpunkt seiner aktuellen Recruiting-Kampagne auf Frauen gelegt. Mit ihrer Aktion „Frau am Bau“ soll vor allem der weibliche Nachwuchs für die (vermeintlich) männliche Branche begeistert werden.

Bis in die 90er Jahre war es Frauen in Westdeutschland nicht einmal erlaubt, auf dem Bau zu arbeiten – diese Berufe seien zu hart und zu dreckig für das weibliche Geschlecht. Genau dieser Ruf eilt der Branche immer noch voraus und sorgt dafür, dass Frauen Berufe in der Baubranche gar nicht erst auf dem Schirm haben. Die Hagedorn Unternehmensgruppe zeigt anschaulich, dass es tolle Frauen da draußen gibt, die Bock auf Bau und große Maschinen haben.

In unserem Interview, das wir im Mai 2021 geführt haben, hat uns Personalreferentin Luisa Paehler drei Tipps gegeben, die dabei helfen können, auch Frauen auf offene Stellen am Bau aufmerksam zu machen, sie dafür zu begeistern und im besten Fall zu rekrutieren:

  1. Weibliche Vorbilder zeigen, die mit der Öffentlichkeit und den Medien stärker in den Dialog treten
  2. Aufhören, in Klischees zu denken und diese Geschlechterklischees nicht für das Recruiting nutzen
  3. Klar machen, dass es aufs Köpfchen ankommt sowie Leidenschaft, Einsatzbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein – unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion, sexueller Orientierung oder dem Alter

Mehr Informationen rund um den Arbeitsmarkt und den Status Quo der Online Candidate Journey findest Du in unserer aktuellen Branchenstudie mit Schwerpunkt Bau.

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