Gegen den Mythos von den Generationen – Viel Lärm um (fast) nichts?

Zum Start in die Woche haben wir noch einen Beitrag zum Thema Generationen für Euch. Gen X, Gen Y, Gen Z, Babyboomer… Ihr wisst schon. Alles Quatsch? Vielleicht!

Auch wir berichten ab und zu davon, was es Neues von der Front der Generationenforschung gibt – doch das Konzept, Menschen in Generationen einzuteilen und anhand dessen Differenzierungen für ihre Werte und Merkmale vorzunehmen, muss sich permanenter Kritik erwehren. Zu Recht?

IBM will dem Ganzen nun eine neue Wendung geben, ganz besonders, wenn es um den Zusammenhang zwischen Generationenwissen und HR geht. Deshalb hat sich das IBM Smarter Workforce Institute einen ganzen Batzen Material zum Thema aus den letzten 18 Jahren zur Brust genommen und die Daten ausgewertet. Der Report “Generational Differences at Work Are Much Ado About Very Little” soll zeigen, dass die Unterschiede zwischen den Generationen minimal sind, wenn es um Einstellungen und Werte geht, die mit der Arbeit zu tun haben.

Der Report bietet folgende Definition von “Generation” an:

By generation, we mean a group of people who came of age around the same time, and who supposedly share characteristics resulting from the experience of the historical events and technological advancements of a certain time period at the same impressionable developmental stage.

Nur kleine (aber feine?) Unterschiede zwischen den Generationen

IBM führt mehrere Beispiele aus Studien an, die zeigen, dass Unterschiede bei Arbeitsthemen zwischen den verschiedenen Generationen nicht besonders stark ausgeprägt sind. Beim Thema Zufriedenheit am Arbeitsplatz z. B. unterscheiden sich die Babyboomer und Generation X auf einer Skala von 0,00-1,00 gerade mal um 0,1. Auch der Unterschied zwischen Gen X und Gen Y ist relativ überschaubar: 0,14.

Ergebnisse einer anderen Studie fanden heraus, dass nur wenig Unterschied zwischen den Generationen besteht, wenn es darum geht, einen positiven Einfluss auf ihr Unternehmen haben zu wollen: Babyboomer 23 %, Gen X 21, Gen Y 25 %.

Gleiches gilt auch dafür, was eine Stelle attraktiv für Jobsuchende macht, nämlich, dass sie interessant sein soll. Das finden 62 % der Gen Y, 60 % der Babyboomes und immerhin auch noch 52 % der Gen X.

Warum der Diskurs so präsent bleibt

Nachdem verschiedene Studien angeführt wurden, um zu zeigen, dass die Arbeitseinstellungen der Generationen sich nicht allzu sehr voneinander unterscheiden und erwähnt wurde, dass dies auch der Tenor in der akademischen Forschung sei, stellen die Macher des Reports die nicht uninteressante Frage, wieso die allgemeine Faszination mit dem Thema nicht nur bestehen bleibt, sondern sogar noch wächst (zwischen 2013 und 2014 stiegen die Suchanfragen für den in den USA für die Gen Y geläufigen Term “Millennials“). Folgende Erklärungen werden angeboten:

  • die gründliche und kritische akademische Forschung hallt nicht in den Mainstream Medien wider
  • es gibt einige”reale” Unterschiede zwischen den Generationen. Aber eben nicht, wenn es um Arbeit geht (sondern eher um Religiosität, Diversität oder Häufigkeit von Ehen)
  • viele Leute identifizieren sich mit den Generationen, zu denen sie gezählt werden, zum Beispiel 58 % der Generation X und 40 % der Generation Y. Dies kann mit dem “Barnum-Effekt” begründet werden, der erklärt, wieso Menschen dazu neigen, sich mit vagen Persönlichkeitsbeschreibungen zu identifizieren (wie etwa bei Horoskopen).
  • häufig werden zu den Generalisierungen der Generationen Stereotype herangezogen, die es Menschen erleichtern andere schneller einordnen zu können. Stereotype stehen jedoch in unheiliger Verbindung zu Vorurteilen und auch Diskriminierungen.

Dass das Thema in den Medien präsent ist, schlägt sich auch in den Ansichten der Unternehmen wieder. Eine Befragung mit 2500 leitenden Angestellten ergab, dass 25 % von ihnen glauben, Konflikte zwischen den Generationen könnten eines der Top-Risiken für ihr Unternehmen werden.

Was besser funktionieren könnte

Im Report wird betont, dass man sich nicht dafür ausspreche, die Generationenforschung völlig auszusetzen. Stattdessen sollten andere Variablen, die den Arbeitsplatz betreffen, nicht vergessen werden. Es werden drei Vorschläge gemacht, wie es anders funktionieren könnte:

  1. Es mit anderer Gruppenbildung versuchen. 

In dieser Grafik geht es um Mitarbeiterengagement. Ein gängiges Vorurteil gegen die Generation Y lautet IBM zufolge, dass sich die Gen Y ihren Arbeitgebern gegenüber weniger verpflichtet fühlen würde. Die Grafik ist einmal nach Generationen, einmal nach Positionen aufgeschlüsselt. Während die Grafik kaum Unterschiede zwischen den Generationen zeigt, herrschen bei den verschiedenen Leveln große Diskrepanzen. Im Report heißt es dazu:

“Therefore, to better understand organizational commitment, grouping employees by management level makes more sense than grouping them by generation.”

2. Arbeitserfahrungen personalisieren 

Statt nur in großen Gruppen zu denken, ist es laut dem Report ratsam, den Fokus auch auf die Mikro-Ebene zu legen. Unterschiede zwischen Individuen sind demnach häufig um einiges größer (entsprechend der jeweiligen persönlichen Erfahrungen) als zwischen großen “anonymen” Gruppen. In Zeiten von People Analytics und Social Media können Daten dazu genutzt werden, den individuellen Ausprägungen der Mitarbeiter entgegenzukommen.

3. Auf Dinge konzentrieren, die beeinflussbar sind

Das Konzept der Generationen ist laut IBM für Unternehmen nur schwer in Handlungen und Maßnahmen umzusetzen. Stattdessen rät der Report dazu, spezielle Faktoren zu messen (z. B. Einflussfaktoren für die Verbesserung von Mitarbeiterengagement). So kann sich zeigen, dass solche Einflussfaktoren unabhängig von Alter (und Generation) sind:

Dies bedeutet, dass das Engagement sowohl bei den Generationen Y und  X als auch Babyboomern mit den gleichen Mitteln gefördert werden kann.

Fazit

Der Report verweist darauf, dass unbestreitbar mit jeder neuen Generation neue Skills, neue Tools und frische Ideen in ein Unternehmen kommen, die dem Status Quo zuwiderlaufen. Trotzdem bedeutet dies nicht automatisch, dass Werte, Erwartungen und Anforderungen sich grundlegend ändern müssen. Mit Blick auf die zuvor gegebenen Handlungstipps empfiehlt der Report, die Variablen, anhand derer Entscheidungen getroffen werden, klüger zu wählen.

Wir meinen: Dieser Report bringt einen wichtigen Punkt vor. So werden wir zwar mit Informationsmaterial über Generationen überschwemmt, doch es scheint ratsam, sich davon nicht allzu sehr beeindrucken zu lassen. Dennoch scheint die Argumentation im Report, es gäbe zwar “reale” Unterschiede zwischen den Generationen, nur eben im Berufsleben kaum, etwas gewagt.

Jan Kirchner, einer der Geschäftsführer der Wollmilchsau, meinte vor kurzem sinngemäß zu diesem Thema, dass sich Werte, Ansprüche und Erwartungen an das Arbeitsleben verschiedener Generationen (und damit auch Altersgruppen) unterscheiden, läge oft schlicht am Altersunterschied. Natürlich ist eine Gesellschaft immer im Wandel, aber ein Absolvent Mitte 20 hat auch immer andere Sorgen als eine berufstätige Mutter mit zwei Kindern und die wiederum andere als jemand, der kurz vor der Pensionierung steht. Erscheint offensichtlich, oder? – Trotzdem täten wir gut daran, uns das ab und zu ins Gedächtnis zurufen.

Der vollständige Report von IBM steht hier zum Download bereit.