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Am 7. März 2022 ist Equal Pay Day – statistisch gesehen der Tag, bis zu dem Frauen hierzulande umsonst gearbeitet haben. Denn der Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen beträgt noch immer 18 Prozent. Das macht in diesem Jahr 66 Tage unbezahlte Arbeit oder 4,16 Euro weniger pro geleisteter Arbeitsstunde.
Die Gehaltslücke verringert sich hierzulande nur sehr langsam. Im europäischen Vergleich bleibt Deutschland das Schlusslicht. Warum ist das so? Was ist der Gender Pay Gap? Was bedeutet bereinigt und unbereinigt? Und wie lässt sich die Lücke schließen?
Please mind the Gap: Was ist der Gender Pay Gap?
Der Gender Pay Gap bezieht sich auf den Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen. Die Zahl zeigt, wie hoch der Anteil am durchschnittlichen Gehalt von Männern ist, den Frauen weniger verdienen. Dabei gibt es zwei verschiedene Zahlen: Die unbereinigte und die bereinigte Verdienstlücke. Sie zeigen verschiedene Aspekte der Ungleichheit.
Die zwei Arten des Gender Pay Gaps
Die erste Zahl, der unbereinigte Gender Pay Gap, bezieht sich auf die Stundenlöhne von weiblichen und männlichen Berufstätigen über alle Branchen hinweg. Hier kommt also nicht zum Tragen, wie viele Stunden jemand leistet, sondern, wie er oder sie für eine einzelne Arbeitsstunde vergütet wird. Die Zahl ist also Arbeitszeit-bereinigt. Für jeden Euro, den männliche Berufstätige verdienen, erhielten weibliche im vergangenen Jahr 82 Cent.
Die zweite Zahl, der bereinigte Gender Pay Gap, gibt die „reine Diskriminierung“ wieder, also jene Ungleichheit, die nur noch auf dem Geschlecht beruht, weil alle anderen statistischen Merkmale herausgerechnet wurden. Es werden also Männer und Frauen in derselben Position betrachtet. Statistisch gesehen bekam also eine Frau im Jahr 2018 für die gleiche Arbeit nur 94 Cent, wenn der Mann einen Euro verdiente.
Das sind die reinen Fakten zur Verdienstlücke. Wenn es in die Diskussion und Interpretation geht, gibt es diverse Argumente, die die Lücke erklären oder entkräften wollen. Wir haben uns drei gängige herausgepickt und zeigen, inwiefern sie haltbar sind.
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Die häufigsten Argumente zum Gender Pay Gap (und wie sie zu bewerten sind)
1. „Frauen suchen sich häufiger Jobs in schlechter bezahlten Branchen.“
Ja, stimmt zum Teil, allerdings liegt die Betonung auf dem Wort „Job“ und nicht „Branche“. Wenn man die Wirtschaftszweige mit dem höchsten Frauenanteil und die Bezahlung nach Geschlecht betrachtet, zeigt sich, dass der Frauenanteil keine Auswirkung hat.
Im Gegenteil: Zwar verdienen Frauen in Kindergärten und Vorschulen sogar knapp fünf Prozent mehr als Männer. In (Zahn-)Arztpraxen liegt ihr durchschnittlicher Bruttoverdienst allerdings 54 Prozent unter dem der Männer, obwohl sie 85,5 Prozent der Beschäftigten ausmachen, wie aus der Verdienststrukturerhebung des Statistischen Bundesamtes hervorgeht.
Und auch in Pflege- oder Altenheimen, die als Frauendomänen gelten, verdienen Frauen 6 bis knapp 10 Prozent weniger als Männer.
Die Branchenwahl ist also nicht das Problem, denn Männern ist es möglich, in nahezu allen mehr zu verdienen. Es liegt also an der Berufswahl (und der Position, dazu kommen wir später noch). Dabei spielen verschiedene Gründe eine Rolle: Zum einen sind „typisch weibliche“ Tätigkeiten in unserem Wirtschaftssystem weniger angesehen und werden geringer vergütet. Sie verschwinden als unbezahlte Tätigkeit in der Blackbox „Haushalt“ und werden weder gemessen, noch erfasst. Erst, wenn sie als Dienstleistung ausgeführt werden, tragen sie zum Wirtschaftswachstum bei und tauchen in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auf.
Zum anderen zeigen Studien, dass Frauen die ungerechte Bezahlung „mitnehmen“. Erhöht sich der Anteil von Frauen in einer Branche, sinkt das durchschnittliche Gehalt (weil sich der Anteil schlechter bezahlter Beschäftigter durch die Frauen erhöht). Das zeigt unter anderem eine Studie, die in Großbritannien, der Schweiz und Deutschland durchgeführt wurde. Doch das Gehalt sinkt eben nicht für alle. Männer verdienen in der Regel weiterhin gut – nur die Frauen nehmen ihren Gender Pay Gap mit.
Zudem: Schon jetzt herrscht in den „typischen Frauenberufen“ Fachkräftemangel. Nicht zuletzt hat die Corona-Pandemie gezeigt, wie sehr unsere Gesellschaft auf diese Tätigkeiten angewiesen ist. Das Ziel muss also nicht nur sein, Frauen in besser bezahlte Berufe zu bringen, sondern die schlechter bezahlten aufzuwerten, um sie sowohl für Männer als auch für Frauen attraktiv zu machen. Die simple Logik: „Dann sollen die doch was anderes machen“ löst das Problem nicht.
2. „Frauen arbeiten weniger.“
Ja und nein. Frauen leisten weniger Erwerbsarbeit, dafür arbeiten sie häufiger unbezahlt. Zählt man die bezahlte und unbezahlte Arbeit zusammen, arbeiten Frauen sogar mehr als Männer. Das geht aus den Zeitbudgetstudien hervor, die Statistikämter weltweit erheben – in Deutschland ist es das Statistische Bundesamt. Die jüngsten Daten stammen aus dem Jahr 2013, aktuell läuft eine neue Erhebung an. Pro Tag arbeiteten Frauen demnach 6 Stunden und 32 Minuten. Bei Männern waren es 6 Stunden und 7 Minuten. Dabei betrug die unbezahlte Fürsorgearbeit von Frauen fast 4 Stunden, die von Männern lag deutlich darunter.
Der deutlich höhere Zeitaufwand für unbezahlte Arbeit spiegelt sich dann im Anteil der Frauen in Teilzeit- und Minijobs wider – und damit im Gehalt. Denn diese Jobs sind, auch wenn man die unterschiedlichen Arbeitszeiten herausrechnet, pro Stunde meist schlechter bezahlt als Vollzeitjobs. Wie die Grafik zeigt, nimmt der Anteil an Frauen, die in Teilzeit tätig sind, zu. Das liegt auch daran, dass insgesamt immer mehr Frauen auf dem Arbeitsmarkt vertreten sind, aber eben in geringerem Umfang als Männer.
3. „Frauen trauen sich keine höheren Positionen zu und verhandeln schlechter.“
Ja, Frauen verhandeln seltener und verlangen weniger. Der Grund dafür wird mehreren Studien und Meta-Analysen zufolge in den unterschiedlichen Rollenerwartungen und Geschlechterbildern von Männern und Frauen gesehen, wie ein Paper der LMU München zeigt. Ein Verstoß gegen diese geltenden Rollenerwartungen, wonach Männer eher mit Dominanz und Selbstbehauptung und Frauen eher mit Gemeinschaft und Selbstlosigkeit assoziiert werden, bedeutet bis heute oftmals auch eine soziale Sanktionierung.
Die Verhandlungsmentalität von Frauen kann also ein Grund für den bereinigten Gender Pay Gap sein – wenn also Frauen in der gleichen Position weniger verdienen als Männer. Allerdings zeigen Studien, dass Frauen auch abseits ihres eigenen Verhandlungsgeschicks in der Arbeitswelt aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert werden, etwa bei der Ausbildungssuche.
Und ja, Frauen sind seltener in hohen Positionen anzutreffen. Der Gender Pay Gap aufgeschlüsselt nach Alter zeigt, dass der Verdienstunterschied auch der Erwerbsbiografie folgt – der Unterschied nimmt mit steigendem Alter zu.
Wie die Grafik zeigt, liegt der Gender Pay Gap bei erwerbstätigen Männern und Frauen bis zum 30. Lebensjahr bei unter zehn Prozent. Danach steigt er kontinuierlich an und verringert sich erst wieder auf 15 Prozent, wenn das 65. Lebensjahr erreicht ist. In Deutschland bekommen Frauen durchschnittlich mit 29,8 Jahren Jahren ihr erstes Kind und leisten spätestens dann mehr unbezahlte Arbeit. Sie treten also in der entscheidenden Phase, in der Männer die Karriereleiter hochklettern, kürzer. Da leitende Positionen noch immer überwiegend eine Vollzeittätigkeit sind, Frauen aber häufig nicht Vollzeit erwerbstätig sind, ist das Erreichen solcher Positionen schwieriger.
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Was tun gegen ungleiche Bezahlung in Unternehmen?
Wenn Unternehmen individuell dazu beitragen wollen, Männer und Frauen gerecht und gleich zu bezahlen, gibt es verschiedene Maßnahmen:
Gehaltstransparenz ist wichtig, um eine Verhandlungsgrundlage zu schaffen und zu verhindern, dass schon bei der Einstellung eine Gehaltslücke entsteht. Wenn Gehälter offen und nachvollziehbar sind, kann verhindert werden, dass Frauen in der gleichen Position für die gleiche Arbeit weniger verdienen, der bereinigte Gender Pay Gap würde sich also schließen.
Außerdem sorgt eine allgemeine Arbeitszeitreduzierung dafür, dass neben der Erwerbsarbeit bei allen Geschlechtern mehr Zeit für Haus- und Carearbeit bleibt.
Unternehmen können ihre männlichen Angestellten dabei unterstützen, mehr Zeit für die Familie aufzuwenden durch die Ermöglichung von Elternzeit, Home Office und flexiblen Arbeitszeitmodellen.
Spitzenpositionen in Teilzeit oder als geteilten Job anzubieten, bringt Frauen in leitende Funktion in Unternehmen.
Außerdem sollte bei Beförderungen mit einbezogen werden, dass Frauen durch Schwangerschaft und Geburt an anderer Stelle Arbeit leisten, als im Unternehmen. Sie deshalb bei Beförderungen nicht in Betracht zu ziehen, ist ein Grund für die schlechtere Bezahlung von Frauen.
Außerdem gilt es, seine eigenen Vorurteile in Punkto Geschlecht immer wieder zu hinterfragen. Ob man unbewusste Rollenzuschreibungen aufgrund des Geschlechts macht, kann man zum Beispiel in diesem Test der Initiative Chef:innensache prüfen.
Was muss politisch und gesellschaftlich passieren, um den Gender Pay Gap zu verringern?
Abseits von Maßnahmen von einzelnen Unternehmen braucht es auch politischen und gesellschaftlichen Wandel.
Eine Möglichkeit der Politik ist es, Löhne anzuheben: Das Ziel der aktuellen Bundesregierung lautet, den Gender Pay Gap bis zum Jahr 2030 auf zehn Prozent zu reduzieren. Eine erste Maßnahme dazu ist die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. Klingt erstmal gut, denn viele Frauen sind im Niedriglohnbereich tätig und würden davon profitieren. Eine Modellrechnung des Statistischen Bundesamts zeigt, dass die Auswirkungen gering ausfallen: Der unbereinigte Gender Pay Gap würde demnach nur um 1,2 Prozent sinken (die Rechnung bezieht sich auf die Daten von 2018). Um das Ziel der Bundesregierung zu erreichen, müsste hingegen jeder erwerbstätigen Frau pauschal und flächendeckend ein Zuschlag von 2,20 Euro pro Stunde gezahlt werden. Erst dann läge der Verdienstunterschied bei zehn Prozent.
Wie weiter oben gezeigt, leisten Frauen mehr Haus- und Fürsorgearbeit. Diese gilt es, sichtbar zu machen, um ihren Wert zu verdeutlichen: Um die unbezahlte Arbeit, die besonders von Frauen geleistet wird, sichtbar zu machen, gibt es Modellrechnungen, wie groß ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt eines Landes ist. Für Deutschland stammt eine Studie vom Statistischen Bundesamt aus dem Jahr 2016, die Daten beziehen sich auf 2013. Demnach wendeten Haushalte im Jahr 2013 35 Prozent mehr Zeit auf unbezahlte Arbeit als auf Erwerbsarbeit auf. Der gegengerechnete Wert dieser Arbeit würde etwa ein Drittel der im Bruttoinlandsprodukt ausgewiesenen Bruttowertschöpfung betragen – größtenteils geleistet von Frauen. Würde man also die unbezahlte Arbeit zu einem alternativen BIP dazurechnen, würde die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung anders ausfallen und die reine Fixierung auf Wachstum bei Waren und Dienstleistungen würde wegfallen.
Andere Stellenbewertungsmethoden: Der hohe Gender Pay Gap kommt auch zustande, weil unsere Art, Arbeit zu bewerten aus einer Zeit stammt, als die Tätigkeiten „typischer Frauenjobs“ eben nicht bezahlt wurden, sondern Männer mit ihrem Verdienst eine ganze Familie ernährten. Daraus resultiert, dass die Kriterien zur Bewertung von Jobs, die mit Fürsorge, Pflege oder Hausarbeit verbunden sind, nicht ausreichend gewürdigt werden. Um den Anteil dieser unterschiedlichen Bewertung am Gender Pay Gap zu messen, haben Forscherinnen der Uni Duisburg den Comparable Worth Index entwickelt, der „gleiches Entgeld für gleichwertige Arbeit“ ermitteln soll. So ergeben die Berechnungen, dass wenn an die Arbeit einer Pflegekraft dieselben Maßstäbe wie an eine:n Ingenieur:in angelegt würden, beide Berufsgruppen dasselbe Gehalt verdienen müssten.
Fazit
Der Dreh- und Angelpunkt beim Gender Pay Gap ist unsere Bewertung von Arbeit. Welche Arbeit wird bezahlt und welche nicht und wie legen wir die Höhe von Gehältern fest? Es handelt sich dabei um politische und gesellschaftliche Fragen, die wir auch nur kollektiv beantworten können. Solange Frauen mehr Fürsorge- und Pflegearbeit leisten, für die sie nicht bezahlt werden, wird sich der Gender Pay Gap nicht verringern. Genauso wenig wird er sich verringern, wenn diese „Frauenjobs“, sobald sie als Dienstleistung aus dem Haushalt ausgelagert werden, nicht besser vergütet werden.
Unabhängig von der Politik können Unternehmen als Vorbilder vorangehen und bestimmte Maßnahmen ergreifen, um für mehr Geschlechtergerechtigkeit zu sorgen und zum gesellschaftlichen Wandel beizutragen. Vor allem der bereinigte Gender Pay Gap liegt in Unternehmenshand, denn sie können dafür sorgen, dass Frauen und Männer für dieselbe Arbeit gleich bezahlt werden.
Insgesamt braucht es ein Umdenken: Ingenieur:innen tragen Verantwortung, wenn sie Brücken und Gebäude konstruieren, Vorstände, wenn sie Unternehmen leiten, aber damit Menschen zu Ingenieur:innen oder Vorständen werden, leisten andere Erziehungs-, Sorge- und Reproduktionsarbeit. Diese anderen sind in der Mehrzahl Frauen. Ohne ihre „Basisarbeit“ gäbe es also keine professionalisierten Fachkräfte. Sie halten den Laden am Laufen und werden dafür nicht oder gering vergütet und nehmen gleichzeitig nur zum Teil an der sichtbaren Produktion von Gütern und Dienstleistungen teil. Zudem werden „typisch weibliche“ Eigenschaften in unserem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem geringer geschätzt, woraus leicht eine Diskriminierung des Geschlechts entsteht. Und daraus ergibt sich der Gender Pay Gap.