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Wiedervereinigung: So steht es um den Arbeitsmarkt in Ost und West

Mehr als 30 Jahre ist der Mauerfall her. Zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober schauen wir auf die Daten und Fakten rund um den Arbeitsmarkt in Ost- und Westdeutschland – in welchen Punkten unterscheiden sich die Landesteile bis heute?

„Blühende Landschaften“ versprach der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl 1990 durch die Wiedervereinigung für die ostdeutschen Bundesländer. In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen sollte es sich „zu leben und zu arbeiten lohnen“.
Heute, mehr als 30 Jahre nach dem Mauerfall, unterscheiden sich die Bundesländer in ihrer Wirtschaftsleistung und Lebensrealität noch immer, werden immer noch unterschieden in „alt“ und „neu“, stehen sowohl politisch als auch sozial unterschiedlich da.
Wie hat sich der Arbeitsmarkt entwickelt in Ost und West? Wo gleichen sich die Bundesländer an, wo zeigen sich bis heute die Differenzen? Und was können Ost und West bis heute voneinander lernen?

1. Demographie – Der Osten ist älter

2. Arbeitslosigkeit in Ost und West nähert sich an

3. Ökonomische Situation – Weniger Einkommensreiche im Osten

4. Gleichstellung – Vor allem Mütter sind im Osten häufiger erwerbstätig

5. Atypische Beschäftigung ist in Ostdeutschland seltener

6. Weniger gering qualifizierte in Ostdeutschland

7. Fazit: Wieviel Wende braucht es noch?

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1. Demographie – Der Osten ist älter

Demografisch ging es lange bergab – die Ostdeutschen wurden immer älter, weil die Jüngeren ihre Zukunft woanders sahen. Jährlich zogen deutlich mehr Menschen aus dem Osten fort als hinzogen. Im Jahr 2017 kam dann die Wende nach der Wende: Mehr Menschen zogen nach Ostdeutschland, das Wanderungssaldo war erstmals seit der Wiedervereinigung positiv (Ein großartiges Datenjournalismus-Stück gibt es dazu bei der Zeit).

Die Auswirkungen dieser Veränderung sind allerdings noch nicht spürbar. Mit einem durchschnittlichen Alter von 47,9 Jahren war Sachsen-Anhalt im Jahr 2019 das älteste der 16 deutschen Bundesländer. Stadtstaat Hamburg ist durchschnittlich fast sechs Jahre jünger. Auf 100 Menschen im Alter von 20 bis 66 Jahren kommen hier 25 Menschen über 67 Jahre. In Sachsen und Sachsen-Anhalt sind es jeweils 41.

Ost und West Infografik: Durschnittsalter der Bevölkerung nach Bundesland

Diese Zahlen machen sich auch auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar: Die Zahl der Erwerbstätigen in den ostdeutschen Bundesländern ist seit der Wende deutlich gesunken, wie die Grafik zeigt. Im Jahr 1991 waren hierzulande 38,9 Millionen Menschen erwerbstätig. Bis zum Jahr 2020 stieg die Zahl auf 44,8 Millionen. Doch in den ostdeutschen Bundesländern sanken die Zahlen zum Teil deutlich: Spitzenreiter im negativen Sinne ist Sachsen-Anhalt, wo im Gegensatz zu 1991 knapp 33 Prozent weniger Menschen Erwerbsarbeit leisten.

Ost und West Infografik: Erwerbstätige in Ostdeutschland

In den anderen neuen Bundesländern sieht der Trend nicht anders aus. Hier zeigen sich die beiden Effekte deutlich: Die einen werden älter und scheiden aus dem Arbeitsmarkt aus, die anderen wandern ab, um ihr Arbeitsglück woanders zu suchen. Den deutlichsten Zuwachs an Erwerbstätigen verzeichneten über den gewählten Zeitraum Bayern mit 9,6 Prozent und Hamburg mit 9,1 Prozent.

Bezogen auf den gesamten Arbeitsmarkt sind die meisten im bevölkerungsstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen tätig: Jede:r fünfte Erwerbstätige hierzulande arbeitet in NRW. Bayern folgt mit gut 17 Prozent, Baden-Württemberg mit rund 14 Prozent. Auf dem sechsten Rang folgt Sachsen mit 4,6 Prozent.

2. Arbeitslosigkeit in Ost und West nähert sich an

Im Westen der Bundesrepublik sind insgesamt 5,6 Prozent der Erwerbsbevölkerung arbeitslos. Im Osten sind es 7,3 Prozent. Damit schließt sich die Lücke allmählich. Nach der Wende wurden in den ostdeutschen Bundesländern viele Betriebe geschlossen oder von der Treuhand abgewickelt und Mensch und Wirtschaft mussten den Umstieg von der Plan- auf die Marktwirtschaft schaffen – viele wurden dadurch arbeitslos. Bis zum Jahr 2005 stieg die Zahl auf 18,7 Prozent, wie die Grafik zeigt. Davon hat sich der Arbeitsmarkt mittlerweile erholt. Bis 2019 sank in Ost und West die Arbeitslosenquote stetig, einzig Corona führte zu einem Anstieg im vergangenen Jahr.

Ost und West Infografik: Arbeitslosigkeit in Ost und West

3. Ökonomische Situation – Weniger Einkommensreiche im Osten

Zwar ist der Lebensstandard in Ostdeutschland in den vergangenen dreißig Jahren deutlich gestiegen, aber er liegt bis heute unter dem in Westdeutschland.

Auch die wirtschaftliche Leistung liegt unter der der alten Länder: Gemessen am Bruttoinlandsprodukt je Arbeitsstunde belegen die ostdeutschen Bundesländer im Vergleich die hintersten Ränge. Spitzenreiter Hamburg liegt bei gut 67 Euro, Schlusslicht Thüringen kommt lediglich auf rund 43 Euro. Der bundesweite Durchschnitt lag im Jahr 2020 bei knapp 56 Euro.

Ost und West Infografik: BIP je Bundesland

Auch im Gehalt unterscheiden sich die alten und die neuen Bundesländer bis heute. Im Jahr 2005 verdienten Erwerbstätige im Osten 80 Prozent des Gehalts westdeutscher Erwerbstätiger. Die Lücke schloss sich bis 2020 etwas weiter und liegt heute bei 86 Prozent, wie aus einem Bericht des Wirtschaftsministeriums hervorgeht. Laut Bundesagentur für Arbeit lag das Mediangehalt im Westen im vergangenen Jahr bei gut 3.500 Euro, im Westen waren es rund 2.800 Euro.

Ost und West Infografik: Monatsverdienste im Osten

Doch nicht nur das Gehalt unterscheidet sich, auch die Zahl der Gutverdiener:innen ist im Westen deutlich höher. Als Anteil der Bevölkerung sehen die Zahlen der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung wie folgt aus: Galten im Jahr 1991 noch 3,6 Prozent der Bevölkerung in den ostdeutschen Bundesländern als einkommensreich (hatten also ein verfügbares Einkommen von mehr als 200 Prozent des Medians aller Erwerbstätigen), waren es in den westdeutschen Ländern 5,3 Prozent. Die beiden Zahlen stiegen bis 2016 auf 4,8 und 7,8 Prozent.

Ost und West Infografik: Wo die Gutverdienenden Wohnen

Wie ungleich die Verteilung aber ist, zeigt sich, wenn man die Gesamtheit der Armen und Reichen betrachtet. Die bundesdeutsche Bevölkerung verteilt sich zu 17,2 Prozent auf die ostdeutschen Bundesländer und zu 82,8 Prozent auf die westdeutschen.

Von den als arm definierten Bürger:innen leben allerdings 23,4 Prozent im Osten und 76,6 im Westen. Bei den Reichen ist die Verteilung noch deutlicher: 93,5 Prozent der reichen Deutschen lebten 2017 im Westen und nur 6,5 im Osten des Landes.

Ost und West Infografik: Verteilung von Armut und Reichtum in Ost und West

4. Gleichstellung – Vor allem Mütter sind im Osten häufiger erwerbstätig

Was die Geschlechtergleichstellung angeht, kann sich der Westen beim Osten eine Scheibe abschneiden. Auf alle Frauen bezogen zeigt sich bei der Erwerbstätigkeit für das Jahr 2019 laut Daten des Statistischen Bundesamts zwar erst einmal nur ein geringer Unterschied von 2,3 Prozentpunkten zwischen Frauen auf dem ostdeutschen (73,9 Prozent) und dem westdeutschen Arbeitsmarkt (71,6 Prozent). Sehr viel deutlicher fällt allerdings der Unterschied bei der Erwerbstätigkeit von Müttern aus.

Ost und West Infografik: Erwerbstätigkeit von Müttern im Osten

In den ostdeutschen Bundesländern sind Mütter mit Kindern unter 18 Jahren häufiger und umfangreicher erwerbstätig als in den westdeutschen. So arbeiteten im Westen der Republik im Jahr 2018 laut Bundesfamilienministerium nur 28 Prozent der Mütter mehr als 28 Stunden, im Osten waren es 59 Prozent, wie die Grafik zeigt. Dass Mütter häufiger und mehr arbeiten, liegt an einer generell höheren Betreuungsquote. So gingen im Osten laut einer Studie der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) knapp 85 Prozent der Kleinkinder zwischen 2 und 3 Jahren in Krippe oder Kindergarten, im Westen waren es lediglich gut 58 Prozent.

Ost und West Infografik: Kinderbetreuung in Ost und West

Außerdem fällt der Gender Pay Gap in Ostdeutschland deutlich geringer aus, was aber auch an einem generell geringeren Gehaltsniveau liegt. Das hängt unter anderem mit den vertretenen Branchen zusammen: Während Bundesländer mit besonders hohem Verdienst eine starke Industrie vorweisen (traditionell Männerberufe), ist in den ostdeutschen Bundesländern der Dienstleistungssektor stärker vertreten – traditionell eher Frauenberufe.

Ost und West Infografik: Gender Pay Gap im Osten deutlich geringer

5. Atypische Beschäftigung ist in Ostdeutschland seltener

Zwar ist im Osten des Landes die Arbeitslosigkeit noch immer höher als im Westen, aber diejenigen, die Arbeit haben, stehen von den Rahmenbedingungen oft besser da – es gibt deutlich weniger befristete Arbeitsverträge, weniger Minijobs und geringfügige Beschäftigung als im Westen.

Ost und West Infografik: Weniger atypische Beschäftigung im Osten

Damit ist ein unbefristeter Vollzeitjob im Osten eher zu haben als im Westen. In Brandenburg macht die atypische Beschäftigung nur 14 Prozent aller Jobs aus. In Bremen sind es mit 26,2 Prozent fast doppelt so viele. Wie weiter oben ausgeführt, liegt die hohe Quote im Westen auch an der geringeren Erwerbstätigkeit der Frauen, die häufig geringfügig oder in geringer Teilzeit tätig sind, wenn sie Kinder haben. Ebenfalls häufiger von atypischer Beschäftigung betroffen sind Erwerbstätige mit geringem Bildungsabschluss.

6. Weniger gering Qualifizierte in Ostdeutschland

Was eine abgeschlossene Berufsausbildung oder Studienberechtigung angeht, stehen ostdeutsche Bundesländer besser da als westdeutsche. Laut Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, die anlässlich der jährlichen OECD-Vergleichsstudie „Bildung auf einen Blick“ veröffentlicht wurden, gibt es im Osten des Landes deutlich weniger Menschen zwischen 25 und 64 Jahren, die keinen Abschluss im sekundären Bildungsbereich haben.

Ost und West Infografik: Bildungsstand der 25- bis 64-Jährigen nach Bundesland

7. Fazit: Wieviel Wende braucht es noch?

Bis heute unterscheiden sich die ostdeutschen und die westdeutschen Bundesländer voneinander. Einiges resultiert aus gemachten Fehlern bei der Einführung der Marktwirtschaft im Osten. Anderes ist einfach eine Konsequenz dieser Umstellung oder bedingt durch unterschiedliche Bevölkerungsstrukturen und wieder anderes durch kulturelle Unterschiede.

Allerdings wächst die Bundesrepublik weiter zusammen, das zeigen nicht zuletzt die Wanderungsbewegungen innerhalb des Landes. Es gilt noch immer, den Wohlstand im Land besser zu verteilen und die ökonomische Situation in den neuen Bundesländern zu verbessern. Die demographische Entwicklung zeigt sich heute im Osten deutlicher – die Überalterung trifft aber früher oder später das ganze Land. Und was die Beteiligung von Frauen im Erwerbsleben und die Jobsicherheit angeht, kann der Westen möglicherweise sogar noch vom Osten lernen.

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Veröffentlicht am 23.09.2021

Asif Shaikh

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