Vor knapp zwei Monaten, Anfang April, haben wir uns das erste Mal ausführlicher mit dem “Corona-Arbeitsmarkt” beschäftigt und versucht, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Seitdem ist gefühlt eine Ewigkeit vergangen.
Es ist viel passiert, darunter der umfassende Lockdown, die inzwischen zweite Veröffentlichung der Arbeitsmarktzahlen der Bundesagentur für Arbeit, die daraus resultierende Panik in der Presse, die Eintrübung der Prognosen bezüglich der Erholung der Wirtschaft.
An dieser Stelle ist es mir wichtig nochmals zu betonen, dass die offiziellen Zahlen (Ifo, BA usw.) stets einige Wochen Verzögerung aufweisen. Damit sind diese Daten paradoxerweise für die Einschätzung der aktuellen dynamischen Lage, die jeden Tag aufs Neue bewertet werden muss, “zu langsam”. Versucht mal auf offener stürmischer See mit Positions-Koordinaten oder Wetter-Daten zu navigieren, die einen Monat alt sind.
Dieser Verzögerung begegnen wir hilfsweise mit der Gegenüberstellung bzw. mit der laufenden Verwendung von quasi Echtzeit-Daten (z. B. online Suchverhalten, Anzeigenschaltungen, Jobspreader Klick-Daten). Los geht’s.
Erwartungen der Unternehmen erholen sich
Laut der Ifo Konjunkturumfrage ging es gerade mit den Geschäftserwartungen im April noch weiter nach unten. Inzwischen scheinen sich die Erwartungen der Unternehmen allerdings leicht zu erholen. Die Stimmung im allgemeinen wird jedoch weiterhin als “pessimistisch” zitiert. Es ist nur logisch, dass die Situation die Personalplanung der Unternehmen beeinflusst.
Der gerade erschienene Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt zeichnet ein entsprechendes Bild für die Lage am Arbeitsmarkt. Auch hier wird ein starker Fall im April gefolgt von einer Stabilisierung im Mai sichtbar, die man z.B. an dem BA-X Index (Arbeitskräftenachfrage) ablesen kann. Dieser stand Ende Februar bei 116 Punkten, rutschte bis April auf 94 runter und verlor im Mai lediglich 3 Punkte (Stand: 91).
Unser Google Trends Benchmark für das Suchinteresse im Bereich Personalbeschaffung bestätigt diese Einschätzung in etwa. Starker Rückgang im April – ja. Stabilisierung im Mai – ja. Die tagesaktuellen Zahlen für die erste Juni Woche springen gerade von Tag zu Tag etwas hin und her. Deuten mal einen weiteren Rückgang des Interesses an und mal eine Verbesserung (bitte klickt auf den Chart für die aktuellen Trends). Natürlich wünschen wir uns eine Verbesserung. Alle Augen sind nun auf Juni gerichtet.
Arbeitsmarkt Corona: Rückgang der ausgeschriebenen Stellenanzeigen
Übersetzt in Stellenausschreibungen resultiert die aktuell undurchsichtige Situation nach den Zahlen der bei der BA gemeldeten Arbeitsstellen in einem Rückgang des Bestandes vom Höhepunkt 2020 in März bei 691.137 auf 626.417 in April und 583.624 in Mai. Übrigens lag diese Zahl im Mai 2019 bei 791.604. Das sind ca. 26% weniger ausgeschriebene Stellen im laufenden Jahr gemäß der offiziellen Statistik. Der Zugang an neuen Stellen hat sich laut der BA gefangen und ist leicht in Richtung Norden gedreht. Er vermag dem Überhang des Abgangs (z. B. wegen Stornierungen) noch nicht entgegenzuwirken.
Als “Echtzeit”-Alternative möchte ich hier die unmittelbaren tagesaktuellen Daten der Jobbörse der Bundesagentur vorschlagen. Das ist die größte (kostenlose) Jobbörse in Deutschland (sie enthält nicht nur die zur Vermittlung gemeldeten Stellen der BA) und ist damit ein ganz guter breiter Indikator für den Arbeitsmarkt. Mithilfe der “Waybackmachine” kann jeder die Zahlen aus der Vergangenheit heranziehen.
Vergleichen wir Ende Mai 2019 (1.648.847 ausgeschrieben Stellen) mit Ende Mai 2020 (1.089.247 Stellen), ergibt sich eine Abweichung auf Jahresbasis von ca. 34%. Die Gegenüberstellung der letzten Mai und der ersten Juni Wochen zeigt leider eine langsame Fortsetzung des Rückgangs. Am 03.06. waren 1.075.722 Stellen ausgeschrieben.
Eine weitere interessante Option ist der von mir gerade erfundene “$tep$tone-Job-Index”. Kostenlose Ausschreibungen bei der BA kann jeder, aber wer ist im Augenblick so abgebrüht, sein Geld in Luxus-Stellenanzeigen mit fester Laufzeit und ohne Ergebnisgarantie anzulegen?!
Also am 01.06.2019 zeigte der Index 91.968 ausgeschriebene Stellen. Am 01.06.2020 waren es 51.086. Ein Minus von 44,45% im Jahresvergleich. Wow. Das Gute ist aber, dass die Zahl der Stellen bei $tep$tone in der ersten Juni Woche leicht angezogen hat. Auf deren Webseite wird sie heute am 05.06.2020 mit 52.956 ausgewiesen. Hoffentlich bleibt das eine nachhaltige Tendenz.
Soviel zu der undifferenzierten Betrachtung der Situation auf dem Arbeitsmarkt. Das Dankbare an den Seiten der Jobbörse der Bundesagentur und von StepStone ist, dass beide auch Zahlen für die jeweils geführten Kategorien zeigen. Somit sind auch tagesaktuelle Detailanalysen möglich. So gab es z. B. bei StepStone in der Kategorie IT von Juni 2019 bis Juni 2020 einen deutlichen Rückgang von 16.382 auf 10.428. Wenn ihr Euch für bestimmte Kategorien oder Branchen interessiert, könnt ihr so täglich beobachten, was gerade in Sachen Bestand im Detail passiert.
Abschließend zu diesem Punkt ist noch zu erwähnen, dass es durchaus Berufe gibt, die von der aktuelle Lage (bzgl. Arbeitslosen/Stellen-Relation) nicht negativ betroffen sind. Unsere Analyse der BA Arbeitsmarktdaten spuckt einige solcher Kandidaten aus: Berufe in der Landwirtschaft, Berufe im Maurerhandwerk, Berufe in der Dachdeckerei, Berufe im Straßen- und Asphaltbau, Berufe für Stuckateurarbeiten. Ja, es sind offenbar vor allem handwerkliche Berufe.
Die Analyse des Bestandes ist aber nur eine Seite der Medaille. Denn in einem etwas entspannteren Arbeitsmarkt werden die Stellen schneller besetzt. Das kann dazu führen, dass obwohl die Unternehmen mutiger werden und wieder kräftig schalten, der Bestand dennoch stagniert. Um keine falschen Schlüsse zu ziehen, muss daher auch die Zahl der Neuschaltungen als Benchmark herangezogen werden.
Dafür verwenden wir gerne Jobfeed. Die Kollegen erheben wöchentlich die entsprechenden Daten. Schon der kostenlose Chart auf ihrer Startseite ist sehr hilfreich für die Einschätzung der Lage.
Wie man sehen kann, vermitteln diese Zahlen ein freundlicheres Bild als die Veränderung des Bestandes. Es geht offensichtlich langsamer weiter. Der Tiefpunkt ist zumindest aus dieser Perspektive überwunden.
Besonders interessant wird es, wenn wir uns die Entwicklung in ausgewählten Branchen anschauen. Hier ist ein willkürlicher Mix mit Beispielen von moderater Erholung in Sachen Neuschaltungen.
Zum Abschluss scheint es mir wichtig zu erwähnen, dass der Arbeitsmarkt, je nach Metrik, als nachlaufender oder höchstens gleichlaufender Indikator für die Wirtschaft funktioniert. Wie ist die Lage heute im Vergleich zu gestern, kann damit gut beantwortet werden. Die Projektion in die Zukunft ist dagegen etwas schwierig. Wenn wir wissen wollen, wie sich der Arbeitsmarkt demnächst vermutlich entwickeln wird, sollten wir uns auch vorlaufende Indikatoren für die Lage der Wirtschaft anschauen.
Das Problem, das wir gerade haben, ist, dass die meisten aussagekräftigen davon (z. B. Auftragseingang, Einkaufsmanagerindex) für die aktuelle Situation ebenfalls zu langsam aktualisiert werden. Als aussagekräftige “Echtzeit”-Indikatoren finde ich aktuell für die Weltwirtschaft den “Baltic Exchange Dry Index” und für Deutschland den kürzlich aufgelegten “Lkw-Maut-Fahrleistungsindex” interessant.
Und dieser scheint doch wirklich in die richtige Richtung zu laufen. Ich wünsche uns allen einen guten Juni und schließe mit dem Zitat eines der besten Eishockey Spielers aller Zeiten, Wayne Gretzky, ab: “I skate to where the puck is going to be, not where it has been”.
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